Wer will schon erleben?

13. September 2014

Nach Authentizität und echtem Erleben schreit, wem immer danach zumute ist, aber wer will das wirklich? In der TAZ vom 23./24. August beklagt der britische Ökonom Umair Haque den Aktivismus vor allem in den sozialen Netzen. Das ist richtig, wer sich da überall angemessen tummeln will, muss entweder sonst nichts zu tun haben (etwa nichts zum Beispiel) oder jemanden dafür bezahlen, dass er sich für ihn tummelt. Allerdings, die Klage darüber ist ungefähr so alt wie die Heimatkunst oder wie Goethes „Werther“. Um das Wahre, Schöne, Gute wirklich erleben zu können, müsste man sich, folgt man solchen Lehren, eigentlich aus allem herausziehen. Werther-mäßig. Und wem danach ist, wem sollte mans verdenken. Aber die Schelte ist dann eben doch ein wenig abgeschmackt. Ungefähr so wie das Lob des russischen Mannes, das vor einiger Zeit in der FAZ zu lesen war und dem man eben die härteren Bedingungen, unter denen er lebt, ansieht. Erleben heißt demnach echtes Leiden, und wenn man dem aus dem Weg gehen kann, ist man wohl klüger als andere oder hat mehr Glück.  Und ums noch zu vertiefen: Worauf kommt es denn wirklich an? Jede amerikanische Hollywood-Klamotte hat dafür die Antwort parat. Und dafür braucht man nun wirklich keinen Ökonomen, nicht einmal einen britischen. Hedonismus ist eine merkwrdige Sache, vieles daran gefällt den anderen nicht. Aber eine Gesellschaft, die den Genuss durch Erleben und dann auch Leiden ersetzt, möchte ich nicht haben.