Eine Frau mit Eigensinn

Neues zu Marieluise Fleißer

Die „Mehlreisende Frieda Geier“ gehört zu den wichtigsten Romanen der Weimarer Republik, und er setzt beim Thema Emanzipation einen anderen Ton als in anderen Texten zu finden, denn Frieda Geier ist keine Halt, Orientierung und Auskommen suchende junge Frau, sondern weiß was sie will. Eben auch von Gustl Amricht. So zumindest die These in: Ein Paar. Geschlechtsspezifische Haltungskonzepte in Marieluise Fleißers Roman „Mehlreisende Frieda Geier“. In: Marieluise Fleißer. Eigenständiges und Widerständiges im Schreiben. Hrsg. von Christina Rossi. Würzburg: Königshausen und Neumann 2025, S. 117-138.

Ansonsten mit Beträgen von Christina Rossi, Ulrike Vedder, Anna-Katharina Gisbertz, Corinna Schlicht, Sofie Dippold, Johannes Hees-Pelikan, Eva Kormann, Jürgen Hillesheim, Franz Fromholzer und Klaus Goldschadt. Sie finden die Angaben zum Sammelband auch direkt beim Verlag: https://verlag.koenigshausen-neumann.de/product/9783826091957-marieluise-fleisser-eigenstaendiges-und-widerstaendiges-im-schreiben/


Carlemann

Eine lange Geschichte, nun erscheint der erste Band der Romane Carl Hauptmanns in der Werkausgabe, die im Verlag frommann-holzboog betreut wird

Carl Hauptmann, 1858 geboren, 1921 verstorben, ist heute kein allzubekannter Name mehr im Literaturbetrieb. Er wird immer wieder einmal im Kontext seines weitaus berühmteren jüngeren Bruders Gerhart Hauptmann genannt, ist aber ein Autor eigenen Rechts. Seit fast 30 Jahren gibt es Hauptmanns Sämtliche Werke, herausgegeben von Hans-Gert Roloff und Miroslawa Czarnecka. Nun erscheint endlich der erste von zwei geplanten Bänden mit dem Romanwerk Hauptmanns. Enthalten sind Hauptmanns erster Roman „Mathilde“ um eine schlesische Arbeiterin und der Künstlerroman „Einhart der Lächler“. Auch diese Projekt hat eine lange Geschichte, die aber jetzt zu einem ersten Abschluss kommt. Der Kommentarband soll bald folgen. Der zweite Band mit weiteren Texten Hauptmanns ebenso. Weitere Informationen zur Werkausgabe und zum Band.

Carl Hauptmann: Sämtliche Werke, Band V,1: Romane 1 (Text). Bearbeitet von Walter Delabar unter Mitarbeit von Christiane Nowak und Ines Schubert.

Mathilde (1902)
Einhart der Lächler (1907)

Carl Hauptmanns Romane gehören zu den aufschlussreichsten Texten des frühen 20. Jahrhunderts. Der Autor – Naturwissenschaftler und eingebunden in ein umfangreiches Kontakt- und Korrespondentennetz – hatte Anschluss an die neuesten Schreibformen und Diskussionen. Als Figur des Übergangs bezeichnet, ist er auch im Romanwerk auf der Höhe seiner Zeit. Das Interesse für die Lebensumstände einer Fabrikarbeiterin, denen er den Roman ›Mathilde‹ widmete, ist ebenso bezeichnend dafür wie die Exposition des Künstlers als Außenseiter der Gesellschaft, von dem der spätere Roman ›Einhart der Lächler‹ handelt.

https://www.frommann-holzboog.de/editionen/1704/170400511?lang=de


Lokal, authentisch, spontan und männlich?

Deutsch-Rap ist heute eines der erfolgreichsten Pop-Genres, nun soll die literaraturwissenschaftliche Anerkennung folgen, oder wenigstens der Büchner-Preis

Rap als Teilbereich des Hip-Hop wurde im Laufe der 1970er Jahre aus verschiedenen Quellen insbesondere im New Yorker Stadtteil Bronx entwickelt, der vor allem von farbigen Gruppen bewohnt wurde. Inhaltliche und lebensweltliche Charakteristika des Rap, der sich aus den gesprochenen Beiträgen des Master of Ceremony (MC) entwickelte, sind die Bindung an einen einfachen, tanzbaren musikalischen Rhythmus, der die verwendeten Reim-, Vers- und Strophenformen bestimmt, der Bezug zu hedonistischen Lebensformen verbunden mit dem Protest diskriminierter Gruppen in Kombination mit der Selbstpositionierung im Rahmen der Adoleszenz. Rap wird als spontanes, authentisches Genre ausgezeichnet, dessen Sprecher einer jeweils bestimmten Community angehört, was durch den textlichen Verweis auf die Herkunft (hier den Stadtteil) gesichert wird.

International bekannt werden Hip-Hop und Rap mit The Message von Grandmaster Flash & the Furious Five aus dem Jahr 1982. Dem zeitlich nachgeordnet ist die Entwicklung des Gangsta Rap, der an der amerikanischen Westküste seit Mitte der 1980er Jahre entstand, der phasenweise das Genre insgesamt überformte und im deutschsprachigen Rap immer noch im Vordergrund steht. Mit dem Gangsta-Rap kommen ein spezifischer Habitus (Gangsta), ein dominantes, offen gesagt chauvinstisches Männlichkeitskonzept, die Abwertung von Frauen zu Sexualobjekten, die demonstrative Präsentation von Reichtum und die Abgrenzung gegen die bürgerliche Gesellschaft als Diskriminierungsinstitut hinzu. In diesem Zuge erhalten die Rap-Battles ihre besondere Bedeutung, wie auch die Behauptung der jeweiligen Überlegenheit des Rappers und seine Bindung an sein auch hier demonstratives soziales Brennpunktviertel verstärkt werden. Die deutschsprachige Rezeption und Übernahme des Rap erfolgte in den 1990er Jahren, zu Beginn mit starken Vorbehalten, die den Erfolg der deutschsprachigen Variante des Rap aber kaum behindert haben.

Das Erstaunliche und vielleicht auch Befremdliche am Rap ist, dass trotz der deutlichen Ausdifferenzierung des Genres es bis heute an Charakteristika wie demonstrative Authentizität inklusive Bezug auf ein bestimmtes Stadtviertel oder eine bestimmte Stadt, betonte Überlegenheit des jeweiligen Performers als Rapper wie eines demonstrativen Männlichkeitstopos festhält. Dieses Ensemble von habituellen Elementen auch noch nach einer mittlerweile wahlweise zwanzig (Deutschrap) oder vierzig (US-Rap) Jahre dauernden Praxis als „widerständige Geste der Konfrontation mit dem Publikum“ zu beschreiben, vernachlässigt die fraglose Abnutzung solcher Gesten.

Dass auf der anderen Seite das Genre samt konzeptioneller Basisausstattung immer noch derart präsent ist, weist möglicherweise darauf hin, dass das Genre auf der Produzenten- wie Rezipientenseite von Generation zu Generation weitergereicht und jeweils angepasst wird (so auch im Beitrag von Rosa Reitsomer zu den Männlichkeitskonzepten im Rap), was eben auch heißt, dass es funktional geblieben ist. Wie das passiert und wieso gerade dieses Konzept derart resilient ist, wäre zu klären-

Fragen gibt es also genug, unabhängig davon, ob dem Rap ein hoher literarischer Rang, große Kreativität oder gar Originalität zugeschrieben wird. Die Dokumentation einer Tagung im Brecht-Haus Berlin ist jetzt bei transcript erschienen. Hier der link zu meiner Besprechung bei lilteraturkritik.de

Neues, deutsches Lied – Julia Ingold und Manuel Paß kämpfen um die literaturwissenschaftliche Anerkennung des Deutschrap – Aber hat er das nötig? : literaturkritik.de


Aetherische Stimmen

Das neue JUNI Magazin ist erschienen

Der Rundfunk hat Geburtstag, schon gehabt 2023: Da wurde er nämlich 100 Jahre alt. Was insofern an vieles erinnern sollte, unter anderem daran nämlich, wie stark zivile Errungenschaften von militärischen Interessen und Aufgaben abhängen und vielleicht auch bestimmt sind. Oder auch daran, dass Neue Medien schnell zu Alten werden. Der Rundfunk ist wie das Internet und einiges anderes mehr in einem militärischen Kontext entwickelt worden, hat freilich – anders als das Internet – seine Bewährungsprobe gleich in einem Großen Krieg absolviert, um dann nach dem Krieg zum neuen heißen Ding zu werden. Ein unerhört neues Medium, das es erlaubte, von einem Ort aus an allen Orten präsent zu sein, von einem auf den anderen Moment, wenigstens akustisch.

Wie schnell der Sprung von dort aus zur visuellen Ubiquität getan werden konnte, zeigt schon eine Aufnahme aus einem Fotoband, an dem Ernst Jünger beteiligt war, und in dem die Dynamik der Moderne sinnfällig werden würde. Kaum gab es den Rundfunk, kündigte sich das Fernsehen schon an. Allerdings ist es erstaunlich, dass es dann doch bis in die Nachkriegszeit dauerte, bis es sich flächendeckend durchsetzte, um dann heute seinerseits vor dem Verlust seiner Vorrangstellung zu stehen. So kann es gehen.

Inhalt:

Zum Schwerpunkt: Ätherische Stimmen und mehr S. 7 / Winfried B. Lerg: Frank Warschauer und die Anfänge der Rundfunkkritik  S. 11 / Gregor Ackermann, Hans-Joachim Heerde und Karl Prümm:
Frank Warschauer, Medienkritiker. Eine bibliografische Notiz Teil 1 der Bibliografie (Beiträge bis 1928) S. 23 / Frank Warschauer: Nibelungen-Film und anderes. Texte S. 65 / Sabine Schiller-Lerg: Zu laut am Mikrofon?! Frank Warschauer kritisiert Walter Benjamin  S. 85 / Johanna Walcher: Festspiel im Radio. Radio-Übertragungen der Salzburger Festspiele in den 1920er und 1930er Jahren. Eine Sondierung zu Rezeption und Medien-Verbindungen S. 91 / Walter Delabar: Lachende Lautsprecher.
Erkundungen in Sachen des Rundfunkautors Erwin F. B. Albrecht samt Bibliografie seiner Rundfuksendeunden zwischen 1933 udn 1939 und kleinen Textfunden  S. 115 / Gregor Ackermann und Dirk Heißerer: Rudolf Schlichter illustriert, Rudolf-Schlichter-Bibliographie Nachtrag 3 und Anhänge  S. 151/ Erich Mühsam: Franz Biberkopf und der Rundfunk und andere Texte samt redktkionellem Kommentar  S. 201 / Karl Prümm: Machtvolle Klangmaschine mit Amplitudenbegrenzung  S. 213 /

Aus dem Magazin: Walter Fähnders: Von „Groß Gespenst“ zu „Zwerggespenst“.
Gespenster in Expressionismus und Avantgarde. Eine Motivsammlung  S. 227 / Helga W. Schwarz: Nicht nur Karls Ehefrau. Luise Kautsky (1864-1944)  S. 244 / Frauke Schlieckau: Was nützt die Liebe in Gedanken? Überlegungen am Beispiel der Steglitzer Schülertragödie 1927 S. 252 / Dirk Heißerer: Nietzsches Sonnenschirm. Aachener Anthologie  S. 262 / Dirk Heißerer: Nietzsches Regenschirm S. 263 / Momme Brodersen: J. Neumann. Zur vergessenen Geschichte eines großen Tabakunternehmens  S. 267

Schafott/Über den grünen Klee – Rezensionen und Hinweise: Rudolf Braune: Das Mädchen an der Orga privat / Mona Horncastles Biografie Josephine Bakers, Bakers Memoiren und eine Ausstellung in der Bonner Kunsthalle / Zur Neuausgabe des Amerika-Romans Maria Leitners Hotel Amerika bei Reclam / Steffen Kopetzkys Roman zum Leben Larissa Reissners / Caitlin Rosenthal über moderne Managementmethoden in Sklavenhalterplantagen in Westindien und in den Südstaaten der USA/ Colin Rossʼ beinahe perfekter Krimi Zu hoch gepokert / Colette Andris: Eine Frau, die trinkt / Maria Lazar: Die Eingeborenen von Maria Blut            S. 296 Autorinnen und Autoren    S. 319

Zu beziehen über den Aisthesis-Verlag: https://www.aisthesis.de/Programm/Periodica/JUNI-Magazin-fuer-Literatur-und-Kultur


Die Aufgabe der Rhetorik

Formeln des Entsetzens? Kann man über Rhetorik reden, wenn Krieg geführt wird?

Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober hat den Diskussionen um die Lösung der Palästinafrage eine starke Schlagseite gegeben. Mit der Konsequenz, dass Distanzierungsformeln mindestens nahe liegen. Der Essay, der auf der Seite literaturkritik.de erschien, versucht einen distanzierten Blick, nicht auf die Ereignisse, sondern auf die rhetorischen Distanzierungsformeln und deren Konsequenzen. Die Reaktionen zeigen nicht zuletzt, dass es anscheinend sehr schwer ist, eine distanziertere Haltung überhaupt zuzulassen.

Formeln des Entsetzens. Über einige rhetorische Phänomene in den publizistischen Stellungnahmen zum Nahostkonflikt, zu finden unter: https://literaturkritik.de/formeln-des-entsetzens-nahostkonflikt,31091.html