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Gustav Frenssens Roman über den Krieg der deutschen Kolonialmacht gegen die Herero: „Peter Moors Fahrt nach Südwest“ (1906). Eine thesenhafte Anamnese

2. Dezember 2022

Die Differenzen bei der Einschätzung des Kriegs zwischen den deutschen Kolonialherren und den Herero im Jahr 1904 mögen grundsätzlicher Natur sein, in Gustav Frenssens Roman „Peter Moors Fahr nach Südwest“ (1906) ist aber weder fraglich, dass der Aufstand der Herero gegen die deutschen Kolonialherren gerechtfertigt, noch dass der Krieg gegen die Herero ein Vernichtungskrieg war. Allerdings spielt der Vernichtungsbefehl Lothar von Trothas im Roman keine Rolle, wie auch der triumphale Sieg, den von Trotha anscheinend nach Berlin meldete, nicht zentral ist. Auch feiert der Roman die Kolonialherrschaft nicht ab, legitimiert sie und damit das militärische Vorgehen gegen die Hereromänner und deren Familien, die sich der Kolonialmacht als Ganzes zu entziehen suchten. Die Erzählung lässt sich dazu nicht herab.

Hauptursache dafür ist, dass der Roman strikt aus der Perspektive einer nachrangigen Figur geschrieben ist, Peter Moor, Handwerkersohn, selbstverständlich national orientiert und ein wenig kompetenter oder weltläufiger Protagonist. Alles was erzählt wird, rekurriert darauf; der Großteil der politischen Positionen wird anderen Figuren zugeordnet und wird durch den Erzähler referiert, der vergleichsweise zurückgenommen, wenn nicht sachlich bleibt.

Daraus leitet sich zum einen die Erzähllinie ab, in der die Fahrt nach Südwest schnell erledigte Abenteuerfahrt erscheint, bei der die Aufständischen rasch niedergeworfen werden, um ansonsten unvergessliche Erlebnisse anzusammeln. Die Überlegenheit der Kolonialarmee ist selbstverständlich. Das wird auch nie suspendiert, bleibt aber ein auffallend wenig beanspruchter Faden in der Erzählung.

Die zweite Konsequenz ist die Darstellung von Schwarzen, die – bis auf die wenigen Hinweise auf die Schwarzen, die auf Seiten der Kolonialherren tätig sind, Treiber, Heizer etc. – durchgehend als „Feinde“ bezeichnet werden. Der Begriff „Neger“ wird nicht verwendet. Das ist insofern bemerkenswert, da in zeitgenössischen Texten ansonsten der Begriff auch bei Autor/innen, die nicht als reaktionär oder konservativ eingeschätzt werden, nicht problematisiert wird („Negermusik“, „Negertänze“ etc.).

Damit sind die Herero vor allem als Gegenseite gekennzeichnet, von der der Protagonist eben zum einen kaum etwas weiß, aber von denen er zum anderen auch kaum etwas anderes wahrnimmt, als das, was er bei den im übrigen wenigen Kampfbegegnungen wahrnehmen kann. Die Darstellung ist insofern nicht gerecht, sie ist schematisch und nicht ausdifferenziert, aber das ist eben die Konsequenz der Anlage des Textes.

Wenn den Schwarzen Qualitäten nachgesagt werden, dann halten sich quantitativ despektierliche (die Gewohnheiten der Heizer beim Essen, die Beschreibung, wie sie an Bord kommen, die despektierliche Benennung der Frauen als „Weiber“) und anerkennende (vor allem die Kampfkraft lobende) einigermaßen die Waage.

Die Repräsentanten der deutschen Kolonialmacht, die die Unterdrückung der Schwarzen legitimieren, werden kaum als ernsthafte Autoritäten gekennzeichnet (der Pfarrer, der die Überlegenheit der weißen Rasse predigt, der General, die Truppen paradieren lässt und die Messe anordnet, der Oberleutnant, der die Kolonialherrschaft legitimiert).

Hingegen wird der Legitimität des Aufstandes relativ viel Raum gegeben.

Die Gewalt gegen die Herero wird nicht verschwiegen, sie wird auch kaum verurteilt, sie wird hingenommen, vor allem bei den Hinrichtungen und Erschießungen, von denen berichtet wird. Die Gewalt, die der Protagonist selbst ausübt, löst bei ihm Ekel aus. Allerdings wird die Nachgeschichte des Kriegs nicht mitgeliefert, da der Protagonist das Spielfeld verlässt und heimkehrt.

Die Kampfhandlungen selbst sind auf zwei bis drei Begegnungen konzentriert, die eher als Scharmützel gekennzeichnet sind, denn als Schlacht erkennbar werden. Der Hauptkampf, den deutsche Kolonialarmee und Herero kämpfen, ist der gegen den Wassermangel oder das schlechte Wasser, was zu Typhus und anderen Erkrankungen führt, die mehr Soldaten zu dezimieren scheinen als im Kampf fallen.

Die Anlage des Textes ist erstaunlich, vor allem aus dem Grund, dass Frenssens spätere Wendung zum Nationalsozialismus bekannt ist, spätere Texte („Glaube der Nordmark“) Frenssen als politisch Extremen kennzeichnen, was auch den Blick auf seine früheren Texte beeinflusst. Das wird durch die Widmung vordergründig noch bedient („Der deutschen Jugend, die in Südwestafika gefallen ist, zu ehrendem Gedächtnis.“). Auch scheint eine späte Wendung aus dem Gespräch Moors mit dem Oberleutnant darauf zu verweisen, dass er den Sinn von Kolononialherrschaft und Krieg nunmehr – endlich – versteht: „Ich hatte während des Feldzugs oft gedacht: ‚(…) Die Sache ist das gute Blut nicht wert.‘ Aber nun hörte ich ein großes Lied, das klang über ganz Südafrika und über die ganze Welt und gab mir Verstand von der Sache.“ Keine Frage, eine offen imperiale, auch koloniale Einsicht, kurz vor Ende der Erzählung, die durch ihre singuläre Stellung hervorsticht, in dem einen wie dem anderen Sinn.

Denn das Narrativ des Textes weicht ansonsten davon ab, es ist eben nicht rassistisch, die Aufwertung der Europäer, die Abwertung der Afrikaner und die Legitimierung der Kolonialherrschaft stehen nicht im Vordergrund, ist nicht einmal ein selbstverständlich Fonds, auf dem sich die Erzählung bewegt. Der Text ist statt dessen sondierender, offener und wenig festgelegt.

Gustav Frenssen: Peter Moors Fahrt nach Südwest. Berlin: Grote 1906 (mit zahlreichen Nachauflagen)