Stabile, dauerhafte Ehen von Mann und Frau

29. März 2018

Der Politologe Peter Graf Kielmansegg hat in einem Artikel für die FAZ, der am Donnerstsg, 1. Februar 2018 veröffentlicht wurde, noch einmal an ein vermeintliches Versagen des Parlaments erinnert. Mit der „Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare“ liege ein „krasses parlamentarisches Versagen“ vor. Der Bundestag hätte zumindest das Thema debattieren müssen. Darauf sei verzichtet worden.

Dieser Vorwurf gegen den Bundestag der letzten Legislaturperiode wird damit begründet, dass mit der Öffnung der Ehe für gleichgschlechtliche Paar Artikel 6 des Grundgesetzes massiv in Frage gestellt worden sei. Warum? Indem die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren freigestellt werde, werde der Sinn des Artikels 6, nämlich den größtmöglichen Schutz für Ehe und Familie als Bedingung für die Fortsetzung in die nächste Generation zu geben, suspendiert. Statt dauerhafter, verlässlicher Gemeinschaften von Mann und Frau zur Zeugung und bestmöglichen Aufzucht von Kindern sei Ehe damit als eine womögliche kurzfristige Beziehungsform zwischen zwei Personen geronnen. Kinder spielen dabei nur eine nachrangige Rolle. Der Wunsch Erwachsener, ein erfülltes Leben zu führen, rücke damit in den Vordergrund.

Artikel 6 sei jedoch weitgehend ausdrücklich aus der Sicht des Kindes gedacht, dem Vater und Mutter am besten dauerhaft zur Seite gestellt werden sollten. Artikel 6, Satz 2 bis 5 hätten, so Kielmansegg, „mit dem Kind zu tun“. 

Nun wird man nicht abstreiten wollen, dass mit Artikel 6 auch das Wohl von Kindern bedacht werden soll. Immerhin werden sie im Artikel genannt. Was aber nicht korrekt ist, dass dieser Artikel grundsätzlich aus der Sicht des Kindes gedacht ist, wie auch aus dem Gesetzestext nicht ablesbar ist, welche Form von Familie und Ehe geschützt werden soll. 

Absatz 1 spricht allgemein vom Schutz von Familie und Ehe, die als frei gewählte Gemeinschaft zweier Menschen, die sich als Ausdruck ihrer Gemeinschaft Kinder wünschen, konstituiert werden muss. Ob diese Kinder durch Zeugung oder durch Adoption entstehen, darüber gibt der Gesetzestext keine Auskunft, das legt er eben nicht fest. 

Auch der zweite Absatz wird nicht aus der Perspektive von Kindern formuliert, sondern er regelt eine Pflicht von Eltern, nämlich die der Erziehung von Kindern, die vom Staat kontrolliert wird. Andererseits kann der Staat Kinder ihren Erziehungsberechtigten nur unter stark reglementierten Bedingungen wegnehmen, nämlich dann, wenn sie versagen, so Absatz 3. Der vierte Absatz stellt Mütter unter den besonderen Schutz des Staates, ohne dass erkennbar wäre, dass er dies tut, weil sie Kinder haben oder weil er ihre besondere Leistung als Mütter von Kindern, die sie erbringen, oder eben die Belastung, die sie durch die Geburt auf sich nehmen, honorieren will. Der fünfte Absatz nun stellt uneheliche mit ehelichen Kindern gleich. 

Die Konstruktion Kielmanseggs geht mithin am Gesetzestext vorbei, mit dem offensichtlichen Ziel, eine spezifische Form von Ehe und Familie als allein mögliche und dem Kindeswohl förderliche zu behaupten. Dabei entgeht ihm freilich, dass für Kinder nicht Vater und Mutter per se, sondern möglichst verlässliche und dauerhafte Beziehungen förderlich sind. Das kann auf die eine oder andere Weise geschehen, genau wie Verlässlichkeit auch von konventionellen Vater- und Mutterfiguren torpediert werden kann. Genau deshalb ist es ja auch sinnvoll, dass das Grundgesetz allgemeiner formuliert als es Kielmansegg behauptet. Und insofern ist die Freigabe der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare nur mittelbar für das Grundgesetz relevant. 

Dass Kielmansegg die Entscheidung des Bundestags zum Anlass nimmt, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Subjekte als Fehlentwicklung zu verurteilen, zeugt nicht zuletzt von seinem Unverständnis, freilich auch Unvermögen, die Widersprüche zwischen Selbstverwirklichung und die Pflege von sozialen Beziehungen, gerade die von intimer und dauerhafter Qualität auszuhalten. Er stellt dagegen die Aufforderung, gerade wegen der Entscheidung des Bundestags besonders vehement ein konventionelles Ehe- und Familienkonzept zu leben. Man darf hoffen, dass dies ohne Kollateralschäden möglich sein wird. 

Der Gesetzestext:

GG Artikel 6 (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.