Heroisierung der Schutztruppe gegen das Vaterland?

Eine Gegenrede

5. Januar 2023

Elisabeth Hutter hat 2019 eine andere These entwickelt, als die zuvor vorgestellte, die letztlich betont, der Effekt von Frenssens sei die „Heroisierung der Schutztruppe“. Sie hebt dabei zwei Aspekte hervor:

1. Wie können die „aus den diversen Heimatregionen stammenden Soldaten als geeintes Kollektiv ihre Nation im Krieg“ verteidigen, und „welche Normen“ gelten „für dieses kriegerische Handeln“.

2. Wende sich Frenssen gegen die „Kritik und das Desinteresse der Daheimgebliebenen“ am Krieg in Südwest.

Frenssens Roman sei  ein „Gegenentwurf zum öffentlichen Bild der Schutztruppe“, den er nicht nur in Verkaufszahlen, sondern auch inhaltlich erfolgreich und nachhaltig platziert habe.

Der Vorteil dieser These ist, dass er den Erfolg von Frenssens Roman mit einem kohärenten, mit der ideologischen Ausrichtung Frenssens korrespondierenden Muster verbinden kann. Aufschlussreich und plausibel ist auch, dass die Wahrnehmung der Akteure als „Helden“, mithin die Heroisierung der Feldzugteilnehmer durch die Rezeption im Ausgangsland erfolgt. Held ist, wer als Held von den eigenen Leuten angesehen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass er zum Selbstopfer bereit ist (oder lediglich um Opfer fällt).

Dafür muss sie freilich sämtlich widersprechende Passagen des Textes im Sinne ihrer These ausrichten. Dazu gehört, dass sie vor allem die naiven Anfangspassagen, in denen der Protagonist analog zu seiner sozialen Positionierung agiert und spricht, auf den gesamten Text anwendet. Die Fantasie vom schnellen, abenteuerlichen Auszug wird aber durch den Text nach und nach kassiert. Das Opfer ist zudem nicht im Kampf erbracht, sondern im Erleiden vor allem von Durst, Hunger und Krankheiten, die die Kolonialtruppen belasten. Die Feindkontakte werden nicht als Kollektiv durchgestanden, sondern vom Protagonisten allein, wie er auch dazu neigt, sich als Patrouillenreiter von der Truppe abzusetzen und allein zu agieren. Auch bleibt immer noch auffallend, dass die sozial nachgeordnete Position des Protagonisten erhalten bleibt. Nicht er erklärt die Welt, er lässt sie sich erklären – und sein Bekenntnis dazu bleibt auffallend dünnlippig.

Der Einwand, der vorzubringen ist, geht mithin dahin, dass sich Hutter das Material zugunsten ihrer These zurichtet, auch dann, wenn es dazu wenig geeignet ist. Eine Passage mag das zeigen, die gerade den Punkt berührt, der die Genozid-These zu bestätigen scheint, die mit dem Feldzug heute verbunden wird. Dafür entnimmt sie dem Text eine Passage, in dem der Vernichtungsbefehl von Trothas paraphrasiert wird:

„Da beschloß der General [Lothar von Trotha, Anm. EH], ihm [dem Feind, WD] dorthin zu folgen, ihn anzugreifen und zu zwingen, nordostwärts in den Durst und in den Tod zu gehen, damit die Kolonie für alle Zeit vor ihm Ruhe und Frieden hätte. (Frenssen, Peter Moor 171) „

Hutter kommentiert das folgendermaßen:

„Ihre Strategie der Vernichtung wird so als notwendige, endgültige Befreiung von den als lästig empfundenen Aufständischen präsentiert und ihre kollektive Täterschaft als Selbstopferung zum heroischen Akt stilisiert. Sie [die Kolonialsoldaten, WD] sind demnach sowohl Opfer der widrigen Begleitumstände als auch stolze Täter im Dienst der Nation.“ (S. 33)

Nun ist der zitierten Passage vor allem erst einmal eine militärische Strategie zu entnehmen, an deren Legitimität zu zweifeln ist. Allerdings ist aus der kolonialen Perspektive Rücksicht auf die aufständische Kolonialbevölkerung nicht vorauszusetzen. Aber der Passage ist eben nicht zu entnehmen, dass die Aufständischen als „lästig empfunden“ werden und dass die Aktivitäten der Kolonialmacht hier als „kollektive Täterschaft“ vorgestellt wird, die „als Selbstopferung zum heroischen Akt stilisiert“ wird. Denn weder wird hier ein Kollektivsubjekt vorgestellt, noch werden Befehl oder Strategie des Generals kommentiert, sie werden lediglich vorgestellt – wie alles, was hier über den Horizont des Protagonisten geht, zumeist nur vorgeführt und referiert wird. Was auf solche Passagen folgt, sind die Mühen des Heerzugs, der offensichtlich nicht auf die Bedingungen vor Ort abgestellt ist. Die deutsche Kolonialmacht und deren Befehlshaber werden eher als inkompetent, denn als herrschaftsbewusst oder heroisch vorgestellt. Auch die herbsetzende Behandlung einzelner Kameraden des Protagonisten, die sich im Heerzug rehabilitieren wollen, zeugt weniger von einer gelungenen Kollektivbildung, sondern eher von einem militärische Apparat, der sich vor allem intensiv mit sich und seinen Statusproblemen beschäftigt.

Was im Umkehrschluss das Problem erzeugt, dass eine Kollektivbildung nicht wirklich zu gelingen scheint und die Heroisierung zwar angespielt wird, aber nicht im Vordergrund steht. Warum Frenssens Roman dennoch so erfolgreich war, lässt sich vielleicht – wenn nicht mit den Thesen Huttens oder analogen Denkmustern – mit der Positionierung des Protagonisten erklären, der ein hohes Identifikationspotenzial besitzt, und/oder mit der Offenheit des Textes, der eine heroische Lektüre ebenso erlaubt wie (sogar) eine pazifistische. Gegebenenfalls ganz gegen die Intentionen des Verfassers.

Elisabeth Hutter: „Was werden wir alles erzählen aus diesem Affenland!“ Die Schutztruppe als prekäres heroisches Kollektiv in Gustav Frenssens „Peter Moors Fahrt nach Südwest“. Entnommen: DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2019/HK/04, S. 29-37