Faktencheck von Romanen

Die TAZ versucht sich an Juli Zehs Realitätstüchtigkeit

15. Februar 2023

Romane müssen es mit der Realität nicht so genau nehmen. Nicht ob alles stimmt, was sie behaupten, ist für ihre Funktionsfähigkeit relevant, sondern ob das, was man Fakten nennt, im Romangeschehen plausibel ist – was eben oft damit zu tun hat, ob mans im wirklichen Leben auch für plausibel hält. Außerdem dürfen Romane oft Dinge behaupten, die kaum belastbar sind, gerade weil sie mit der Realität kreativ umgehen können und sollen. Das muss einem nicht immer gefallen, gegen Romane spricht das aber nicht.

Nun hat die TAZ einen Roman Juli Zehs (Zwischen Welten, 2023), den sie gemeinsam mit Simon Urban geschrieben hat, einem „Faktencheck“ unterzogen (TAZ vom 11.-17.2.2023, S. 23), der entweder ironisch gemeint ist oder nicht greift.

Herausgepickt werden vier Themen: Der Ausverkauf ostdeutscher Landwirtschaft durch die Treuhand an große Agrarkonzerne, die ökonomische Krise von Bauern, hier eines Milchbetriebs und eines Biogaserzeugers, die Diskriminierung und mangelnde Respektierung von Landwirten und schließlich die Umweltfreundlichkeit der Produktion von Biogas.

Alles nicht oder wenigstens nicht ganz oder eben nicht mehr richtig, so wie es im Roman steht, meint die TAZ.

Aber eins nach dem anderen:

Die wirtschaftliche Lage von Bauern

Die ökonomische Situation von Landwirten mag sich im letzten Jahr gebessert haben, weil sie bessere Preise erzielen können, das ändert aber nichts daran, dass landwirtschaftliche Betriebe unter großem Preisdruck stehen und dass es deshalb auch Betriebe gibt, die aufgeben. Das betrifft naheliegend vor allem kleine Betriebe etwa in Ostdeutschland, wo die Böden schlecht sind, vor allem dann, wenn noch Nachfolgeprobleme auftauchen. Ob eine Biogasanlage sich lohnt oder nicht, hängt von verschiedenen Variablen ab. Wenn etwa ein Biogasproduzent vor 2021 für sein Gas langjährige Lieferverträge abgeschlossen hat, aber ab 2021 mit starken Preiserhöhungen bei Stromverbräuchen rechnen muss, kann das existenzgefährdend sein. Biogasanlagen haben einen extrem hohen Stromverbrauch, und bei 2 Mio. kWh kann eine Verdoppelung des Arbeitspreises schon mal fatal sein.

Ausverkauf der Landwirtschaft

Dass die Treuhand seit 2022 den Ausverkauf von Bodenbeständen gestoppt hat, bestätigt eigentlich nur eine langjährige Praxis aus der Zeit davor. Man dem Text nun wirklich nicht vorwerfen, dass er das aufnimmt und als Missstand anprangert, zumal im fiktionalen Kontext.

Umweltfreundlichkeit von Biogas

Biogas wird in der Tat vorrangig von pflanzlichen Energieträgern gewonnen, was ggf. zur Verschlechterung der Nachhaltigkeit führen kann, wenn etwa der Anbau von Mais zur Verwertung in einer Biogasanlage zur Verdrängung von Futterpflanzungen führt, wie das die TAZ moniert. Das Thema Artenvielfalt kommt hinzu. Dem steht freilich gegenüber, dass die Verdrängungsthematik erst einmal hypothetisch ist und organisatorisch anders bewältigt werden könnte. Und ähnlich geht’s mit der Diversifizität. Im Grundsatz ist das Monitum wohl korrekt, aber ob sich was daran ändern lässt oder ob hier nicht diese eine Monokultur angeprangert wird, andere aber nicht, ist nicht ganz klar. Hinzu kommt auch, dass die Frage, ob die den Anbau von Energiepflanzen genutzten Flächen relevant sind, im TAZ-Text nicht beantwortet wird. Also auch nicht ganz so eindeutig, wie von der TAZ gemacht. Und vor allem, bleibt hier noch die Frage, was der Roman in seinem Erzählkosmos damit anfangen will.

Respekt für Bauern

Was das angeht, ist gegen solche Klagen kaum ein Kraut gewachsen, und Umfragen helfen da auch nicht viel, ebenso wenig Subventionen. Dabei muss eine solche Behauptung weder richtig noch falsch sein, sie passt halt nur gut in das Schema vom Stadt-Land-Konflikt, in dem dann das Land und erst recht die Bauern den Kürzeren ziehen. Das führt oft zu sehr lustigen Behauptungen, mit denen der mangelnde Respekt für diesen oder jenen belegt werden soll. Aber auch hier ist vor allem eines relevant, was soll das im Roman bewirken?

Was will der Roman (was wollen uns die Autoren damit sagen? Autsch)

Damit soll dem Roman nicht das Wort geredet, sondern nur dem vermeintlichen Faktencheck die Eindeutigkeit ausgetrieben werden. Denn auch wenn wir Romane gern für die Wirklichkeit nehmen und sie uns dabei auch helfen, sich darin zu bewegen, gehören sie eben dort nur als Kultur- und Wirtschaftsgut hin oder eben als Gegenstand von Kritikern bis Literaturwissenschaftlern. Zehs Roman ist damit, wenn überhaupt nur dann „falsch“, wenn er eine falsche Geschichte erzählt, nicht weil er sein Personal mit Ansichten ausstattet, die hinreichend verbreitet sind, die keine Faktenbasis haben (naja, was darunter zu verstehen ist).

Auf die Geschichte und deren Bezugnahme auf Gegenwart oder Realität käme es aber an. An Zehs Unterleuten hat sich das bereits gut erkennen lassen: Die Zurichtung von Realität im Roman dient einer Realitätsaufarbeitung, die intentional ist. Im einzelnen mögen die „Fehler“ oder Verschiebungen irrelevant sein (ist doch egal, ob ein Windpark in Unterleuten auf 10 Hektar gebaut wird oder nicht und ob da kleine oder große Anlage gebaut werden, wichtig ist nur, es geschieht gegen den Willen der Leute vor Ort und dient Einzelinteressen, und ist doch egal, ob eine Biogasanlage sich lohnt oder nicht, wichtig ist nur, dass die Leute im Roman das Projekt vor die Wand fahren und dass sie in Notlagen geraten), in ihrer Gesamtheit wird aber dann so etwas wie eine ideologische Erzählung daraus. Kein Roman kann sich davon freimachen. Im Grundsatz schaun wir die Welt immer an, wenn wir Geschichten in ihr spielen lassen (und nicht nur dann). Und nichts anderes ist Ideologie (nicht nur „falsche“ Weltanschauung). Um sie anschauen zu können, muss Realität zugerichtet erzählt werden. Romanautoren lassen weg, kürzen, verkürzen und schneiden zu. Alles, was sie erzählen, ist notwendig unterkomplex bis falsch. Aber es kommt dann darauf, wie man sich zu dieser Erzählung stellt und ob man sie für stimmig, plausibel und zutreffend hält. Und dabei kann die Art der Zurichtung, derer sich ein Roman befleißigt, aufschlussreich sein. Aber die Erkenntnis selbst reicht noch nicht aus, zu erkennen, ob einem die ganze Richtung denn passt oder nicht.