Glaubensbrüder

3. Juli 2017

In der FAZ vom 21.6.2017 plädiert der Philosoph Thomas Grundmann (Universität zu Köln) für die Restituierung der Autorität von Fachleuten. Anlass ist für ihn der massive Vertrauensverlust von Wissenschaft im Kontext des Aufstiegs populistischer Parteien und Bewegungen. Ein amerikanischer Präsident, der den Klimawandel leugnet? Was anderen Wissenschaftsskeptikern neuen Auftrieb gegeben hat.

Aber auch in anderen Bereichen sieht Grundmann einen massiven Bodenverlust von Wissenschaft. Den Grund dafür sieht er in einem konzeptionellen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Politik. Wissenschaft sei der demokratischen Kontrolle entzogen. Würde man die Spielregeln der Demokratie auf die Wissenschaft übertragen, würden nämlich „Wissensautoritäten generell untergraben“ – man höre und staune. Ein „verantwortliches Denken“ jedoch müsse „echte Autoritäten und erkenntnistheoretische Asymmetrien anerkennen, sonst“ verspiele es „im Namen kritischer Vernunft seine eigene Urteilsfähigkeit“.

Sind diese Thesen schon abenteuerlich, wird Grundmann absurd bei den didaktischen Konsequenzen, die er aus ihnen zieht. 

1. So schreibt er eine Absage an die „populistische“ Forderung nach Allgemeinverständlichkeit. 2. Man möge doch bitte an den Schulen nicht mehr das „Idealbild eines unbegrenzten kritischen Selbstdenkens“ zeichnen. Bildung solle 3. wieder das „Vertrauen in zuverlässige Autoritäten und in für Kritik offene Expertensysteme“ stärken. 4. Die Politik solle der Wissenschaft keine „demokratisch legitimierten Zielvorgaben“ machen und 5. solle man darüber nachdenken ob es nicht „instituionell verankerte Mitwirkungsrechte von Experten in allen politischen Gremien“ geben müsse.

Man kann schon froh sein, dass Grundmann nicht von Mitbestimmungs- oder gar Vetorechten spricht, was einer „zuverlässigen Autorität“ ja eigentlich zustände. 

Dass Wissenschaft in großem Maße unzuverlässig und diskursiv ist, scheint Grundmann fremd zu sein (und das einem Philosophen), vielleicht aber auch nur lästig und unangenehm, wie meinem Hausarzt, der auch bedauert, dass die Medizin keine Wissenschaft sei, weil sie eben nicht präzise genug ist. Das Abenteuerliche an grundmanns Überlegungen ist, dass er eine – wie er mit einem Blick auf Wissenschaftstheorie leicht nachvollziehen könnte – iterative und interpretationsbedürftige zugangsweise zu Realität, deren Auswirkungen auf Gesellschaft unerhört groß geworden ist, der Kritik und der Entscheidung der Nicht-Fachleute entziehen will. 

Kind also raus aus dem Bad: Niemand wird in Zeichen von „Fake-News“ an der Dringlichkeit zweifeln, dass Gesellschaft Konsens über Verfahren, Methoden und Zugangsweisen zu dem, was man Fakten nennt, sprechen muss. Aber es wäre angesichts eines seriösen Zugriffs, wie ihn etwa der radikale Konstruktivismus auf „Realität“ bietet, auch unsinnig so zu tun, als ob das Gegenteil zu einer ungesicherten Wahrheit deren Behauptung wäre, die qua Autorität gesichert wird.

Es wäre auch fatal, statt eines unendlichen und riskanten diskursiven Prozesses neue Autoritäten zu etablieren. Fatal für eine offene wie eine demokratisch legitimierte Gesellschaft. Sie lieferte sich damit einer unkontrollierten und unzugänglichen Autorität aus, die Zuverlässigkeit behaupten muss, aber kaum belastbar sichern und bestätigen kann.

Im übrigen hat Armin Nassehi, „nur“ ein Soziologe (Universität München), in einem Beitrag in der FAZ vom 28.6.2017 dagegen gehalten und dafür plädiert, von der Wissenschaft zu lernen, dass es „stets unterschiedliche Versionen“ einer Sache gibt. Dem gibt es viel hinzuzufügen, was diese These bestätigt.