Familienglück, Mädchenpech

31. Januar 2014

Die FAZ druckt in der Ausgabe vom 31.1.2014 einen Beitrag eines Doktoranden der Ludwig-Maximilians-Universität München ab, in dem es um die neueren Veränderungen von Rollenzuschreibungen pubertierender Mädchen unter dem Einfluss von social media geht. Titel des Beitrag: „Mal zotig, mal vulgär: Die Selbstsexualisierung unter Mädchen“.

Zutreffend wird skizziert, dass Mädchen in dieser Altersgruppe intensive Nutzer der social media sind und sich dabei anscheinend stark sexualisierter Rollenvorbilder bedienen. Zumindest das Vokabular, das verwendet wird (Bitch, Chika etc.) deutet darauf hin. Auffallend ist, dass als Referenz solcher Rollenbilder keine Vorbilder aus der Populärkultur herangezogen werden, sondern lediglich Ursachenforschung in der Sozialisierung betrieben wird.

Angenommen wird, dass die Selbstsozialisierung der Mädchen in der Altersgruppe Ursache dieser Entwicklung sei. Dahinter stehe zum einen die gestörte Eltern-Kind-Beziehung (Scheidung, Streit zwischen den Eltern) und zum anderen die professionalle Betreuungsintensität, also vor allem Ganztagsschulen. O-Ton: „In der Ganztagsschule wird Anpassug zur sozialen Notwendigkeit.“ Außerdem wird die Sexualerziehung als Grund benannt, die Sexual- und Verhütungspraktiken, aber nicht die Freuden der Elternschaft lehre.

Dagegen wird die „Geborgenheit“ in der Eltern-Kind-Beziehung gesetzt. Fehle diese komme es zu Ersatzleistungen, bei denen es um intensive Nähe gehe, was den Einsatz von Sexualmustern erkläre. Außerdem gehe Scham als Regulierungshaltung verloren.

Davon abgesehen, dass die Funktion von Scham ein wenig unreflektiert eingesetzt wird, ist die Gesamtargumentation verblüffend, zumal sie erneut die 68er und Folgen dafür heranzieht, dass es zu dieser Entwicklung gekommen sei.

Lassen wir die Extreme der Sexualerziehung der 68er beiseite, die sich gesamtgesellschaftlich nicht durchgesetzt haben, ist diese konstatierte Entwicklung weder auf die Sozialisierung außerhalb der Familie noch auf die Scheidungsraten von Eltern zurückzuführen. Um nicht zu sagen, das ist 1. Unsinn und ist 2. eine Entwicklung die sehr viel älter ist. Dem germanistischen Kollegen (der der Verfasser des FAZ Artikels ist) seien da die expressionistischen Dramen eines Hasenclever oder Bronnen nahegelegt.

Darüber hinaus ist es keineswegs schlüssig, die familiäre Sozialisation gegen die in der Altersgruppe zu positionieren resp. und vice versa: Zu einer einigermaßen gelungenen Sozialisation gehört eben auch, die eigene Identität gegen die Eltern und andere abzugrenzen. Und es gehört auch die Orientierung an den Altersgenossen dazu. Dass dafür Rollenvorbilder der Alterskohorte herangezogen werden – was ist daran neu? Und was verblüfft daran? Und was hat das mit social media zu tun, die lediglich die Kommunikation in der Altersgruppe verstärken, aber keine neuen Motive einführen.

Kann und soll heißen: alles kein Argument, das diese Entwicklung hinreichend abgrenzen kann.

Dagegen steht zudem der Eindruck, dass der Beitrag der erneute Versuch ist, ein Denk- und Verhaltensmuster zu reetablieren, das in den Zeiten entfesselter Subjektivität und vielfach gebrochener Beziehungen nicht passt. Und vor allem, das die Gefahren, die in der Selbstsozialisierung mit solchen Rollenbildern wohl unstreitbar enthalten sind, nicht eingrenzen wird. Und was soll man davon halten, dass die Konventional-Familie wieder als Allheilmittel für alles herhalten soll, was gesellschaftlich vielleicht fehl geht. Als hätte man damit keine Erfahrungen. Und wüsste nicht, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, oder eben sehr viel.