13. März 2019
Gerald Seymour protokolliert eine britische Geheimdienstaktion: „Vagabond“ und lässt seine Leser leiden
Das Ende der Geschichte hätte beinahe auch das Ende der Geschichten um Agenten, Doppelagenten und die bös-attraktiven Aktivitäten der großen alten Geheimdienste mit sich gebracht. Aber zum Glück generierte der Niedergang der Sowjetunion neue Themen. Und auch andere Krisengebiete wie Südafrika oder Nordirland brachten ihren Beitrag zur Verwirrlage der internationalen Beziehungen bei.
Die Entmilitarisierung der IRA, die über Jahrzehnte hinweg mit allen Mitteln gegen Großbritannien gekämpft hatte und dann schließlich doch in einen Friedensprozess einwilligte, zieht vor allem im britischen Krimi größeres Interesse auf sich. Gerald Seymour hat mit „Vagabond“ nun seinerseits seinen Beitrag beigebracht, in dem sich die versprengten Reste der militanten irischen Kämpfer mit dem britischen Geheimdienst messen.
Eine kleine Gruppe von Iren versucht, Waffen von einem russischen Waffenhändler zu kaufen. Vermittelt wird das Geschäft von einem dubiosen Händler, der als Agent und Lockvogel des britischen Geheimdienstes dienen muss, nachdem er bei einem seiner früheren Deals aufgeflogen ist. Ziel der Briten ist es vorgeblich, die Iren während des Deals hochzunehmen und dabei gerichtsverwertbare Fakten zu ermitteln. Der zuständige Abteilungsleiter reaktiviert für diese Aktion einen früheren Feldagenten, der im Irland-Konflikt für die Drecksarbeit zuständig war. Das ärgert zwar die Agentin, die die Aktion bislang geleitet hat, aber was will sie machen?
Die Aktion wird durchgeführt, der Waffendeal platzt, der Waffenhändler wird hochgenommen, der Agent der Rest-IRA kehrt zwar unbehelligt nach Irland zurück, ist aber verbrannt und zum Abschuss freigegeben, der altgediente Feldagent kommt um. Alles nur eine Frage der Zeit.
„Vagabond“ hat also eine mäßig komplizierte Geschichte, Gerald Seymour braucht jedoch knapp 500 Seiten, um sie zu erzählen. Was, offen gesagt, etwa 250 Seiten zu viel sind. Warum? Seymour ist einfach zu genau.
Das Problem liegt darin, dass Seymour offensichtlich alles besonders gut machen will und jeden Schritt, jede Bewegung, jede Aktion der Beteiligten detailliert beschreibt. Statt einer Geschichte, die auf ihren Kern fokussiert ist, legt Seymour das Protokoll einer Aktion in versplitterten Einzelteilen vor, die am Ende ganz anders aussieht, als es am Anfang den Anschein hat.
Also eigentlich ein klassischer Suspense-Ansatz, der eben nur von Seymour völlig vergeigt worden ist. Eigentlich hätte der Plot alles, was für einen dynamischen, ja rasanten Thriller gebraucht wird, bei dem der Verfasser weiß, worauf es ankommt: Akteure, die vor nichts zurückschrecken, ein Deal, der internationale Kreise zieht, eine Terror-Splittergruppe, die das große Comeback versucht.
Berichtet wird stattdessen alles, was alles vorkommt: die Vorgeschichte der beiden irischen Delegierten, des englischen Feldagenten und seiner Kollegen. Seymour folgt seinen Figuren auf Schritt und Tritt. Trennen sich zwei, folgt er eben beiden. Er bohrt in ihren Motiven und Dispositionen so lange, bis auch ja nichts mehr unerwähnt geblieben ist. Die Eheprobleme des Vermittlers? Warum die junge Irin sich hat anwerben lassen? Weshalb der titelgebende englische Agent wieder einsteigt?
So werden Leser mit einem unendlich scheinenden, mühselig sich voranschiebenden Textbrei über die Seiten gehievt, und hoffen beständig, dass die Geister, die sie mit dem Erwerb dieses Thrillers gerufen haben, endlich wieder verschwinden mögen.
Selbst die Wendung, die die Geschichte gegen Ende nimmt, geht fast im einerlei dessen, was sich auf den Textseiten ausbreitet, unter. Und das Überraschende an dem Moment, dass eine verdeckte Operation ihrerseits Zielen folgt, die erst spät aufgedeckt werden, mag nicht wirklich zu erschüttern. Ob nun russische Waffenagent oder irische Splittergruppe das Ziel sind, was solls. Im Text sind sie alle gleich. Selbst der Untergang des Titelhelden wird nur deshalb mit größerer Aufmerksamkeit wahrgenommen, weil er auf den letzten dutzend aller Seiten protokolliert wird, nur eben nicht inszeniert. Darauf kommt es aber nicht an, wenn es um einen gut erzählten Krimi geht, was Gerald Seymour zweifelsfrei anzulasten ist. Da helfen auch die besten Absichten nicht.