Böse Konzerne, böse Masse, gutes Handwerk, armes Frankreich

5. Januar 2019

Das Erinnerungsvermögen einer Gesellschaft ist erstaunlich kurz: Im Zusammenhang mit den Protesten der Gelbwesten in Frankreich verstieg sich ein Beiträger in der FAZ vor kurzem zu der These, dass das Grundproblem in Frankreich die Destruktion der ökonomischen Mittelschicht sei. Wer schnell verfallenden Schund wie Billy-Regale kaufe, statt sich Regale beim Schreiner bauen zu lassen, die dann für die Ewigkeit halten, trage zu dieser Entwicklung bei. 

Das ist eine willfährige Behauptung, so als ob es Konzerne erst seit den letzten 20 oder 30 Jahren gebe und nicht seit 150 Jahren, und so als ob die Attraktivität von Billy nicht damit zusammenhängt, dass es auch für Leute erschwinglich ist, die nie auf die Idee kämen, zum Schreiner zu gehen, weil der schlichtweg zu teuer für sie wäre. Eine Massengesellschaft basiert in großem Umfang auch auf Massenprodukten. Der Untergang des Handwerks hingegen (und da kommt es drauf an, welches) liegt schlicht und ergreifend daran, dass es seine Nachfolgeproblematik nicht geregelt kriegt. Die Kinder übernehmen das Geschäft nicht mehr. Das andere Problem ist, dass Handwerker wie Bäcker oder Fleischer zum Teil auch an ihren möglichen Kunden vorbeiproduzieren und dabei untergehen. Wer als Schreiner mit Billy konkurriert, hat nicht verstanden, dass das Unsinn ist. 

Das unangebracht Lob der KMU, des Handwerks und anderer kultureller Phänomene geht ja noch weiter: Nicht nur dass alle Nase lang der neue Dorfroman abgefeiert wird (was ziemlich peinlich ist, angesichts des Verfalls dessen, was noch als Dorfkultur übrig geblieben ist). Jetzt muss die Heimat auch noch als Gegenkonzept zur Globalisierung herhalten. So wenigstens auf einer Wirtschaftsseite der FAZ vom 5. Januar 2019. In der Globalisierung wachse die Sehnsucht nach Heimat, schreibt ein Philipp Krohn und konzediert, dass sich gegen den Einheitsgeschmack von McDonalds und anderen „allmählich““Gegenmodelle“ etablierten, was dann auf Bäcker, Winzer, Kukuckuhrenproduzenten, neue Indierocker und andere verweist. Statt global denken und lokal handeln also nur noch Seldwyla?

Wenn man nicht gleich auf die Lebensreform zurückgehen will, dann kann man doch aber wenigstens bei dieser Gelegenheit auf die schönen Siebziger verweisen, in denen es schon eine Menge „Gegenmodelle“ gab, achja, Phillysound war ja auch eine Gegenbewegung. Und das „Große Buch vom Leben auf dem Lande“ gabs damals auch schon. Und „Alter-Öko“-Arbeitsgruppen an den Universitäten, die sich sogar mit älteren „Gegenmodellen“ beschäftigten. Und Fairtrademodelle und die Idee, erneuerbare Energien zu nutzen (was einer Menge Leute nicht passt) usw.

Sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es neben handwerklichen Produkten auch Massenware geben muss, will man die Leute nicht gleich wieder in Hütten verfrachten. die Verödung der Regionen in Frankreich ist damit zwar nicht wegzudiskutieren, aber vielleicht sollte man sich ein paar bessere Begründungen ausdenken.