Von Polizisten und Menschen

11. August 2020

Säue müssen durchs Dorf getrieben werden (Eber bestimmt auch, aber das ist eine andere Debatte), so auch die des TAZ-Kommentars vom Juni 2020, in dem vorgeblich die Schreiberin verlangt habe, alle Polizisten auf den Müll zu werfen. Das ist aus Olchi-Sicht eigentlich kein böser Wunsch, aber auch das ist hier nicht Thema, sondern die Frage, wie es diese Gesellschaft mit ihren Polizisten hält.

Dass sie uns angeblich beschützen, kann man wohl grundsätzlich zu den Akten legen, denn was das angeht, kommen Polizisten in der Regel zu spät (nach dem Unfall, nach dem Verbrechen, nach dem Attentat usw.). Es ist auch nicht ihre Aufgabe, den einzelnen zu schützen, auch nicht den Besitz der Reichen, wie gerade noch einmal in einem TAZ-Artikel zu lesen war. Sie sollen stattdessen das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen, weswegen sie in einzelnen Bereichen tatsächlich auch proaktiv tätig sind. Schutz meint denn auch eigentlich vor allem, dass der Rechtsanspruch jedes einzelnen erhalten bleibt und notfalls auch gegen den Staat und die in seinem Namen Agierenden durchgesetzt werden kann und muss.

Nun kann man das staatliche System grundsätzlich als parteiisch, soll heißen als willfährigen Büttel des Kapitalismus abtun (wogegen man immerhin argumentieren kann, aber auch das kann hier außen vor bleiben), aber die Alternative zum staatlichen Gewaltmonopol ist tatsächlich die Aufgabe eines Rechtssystems, auf das sich jeder einzelne berufen kann (selbst wenn es von einzelnen Gruppen missbraucht und entfremdet wird). Kein taugliches Mittel, das Recht von Schwächeren zu erhalten, sind aber Bürgerwehren, wie sie – unter anderem Namen aber mit demselben Effekt – Katharina Schipowski in der TAZ vom 10. August als Gegenentwurf zur Polizei entwickelt. Das Konzept Schipowskis setzt darauf, dass jeder einzelne die Entscheidung und die Wahl trifft, die für ihn am günstigsten ist. Man müsse also nur Bedingungen schaffen, in denen ein gewaltfreies Handeln für jeden einzenen bessere Resultate erzielt als gewalttätiges. Und für den Rest gibt es Moderatoren.

Es liegt nahe, darauf zu verweisen, dass die Einschätzung, welches Handeln das bessere Resultat erzeugt, indidivuell sehr unterschedllich ausfallen kann. Ziele und Optionen können nicht generalisiert werden. Hinzu kommt, dass man es durchaus schätzen kann, wenn sich jemand von Berufs wegen um den Kram kümmert, den man als Regelverstoß, Kriminialität oder sonstwas bezeichnet. Das entlastet, was dem Schreiber dieser Zeilen als hohes Gut erscheint.

Aber zu zwei weiteren Themen:

Zum einen hat man jeden Grund, den Staat, in dem man lebt, kritisch zu würdigen, zu kontrollieren und ggf. auch zu verändern. Dazu gibt es genug schlechte Erfahrungen mit einem Staat, der sich der Durchsetzung eines Herrschaftssystems und der Unterwerfung seiner Bevökerung gewidmet hat.

Kurt Eisner hat in seinen „Arbeiterfeuilletons“ den Umgang des preußischen Staates mit seinen Untertanen geschildert: Geradezu genüsslich breitet er die Geschichte des preußischen Polizeibeamten aus, der aus einem Betrunkenen, der sich mit einer Straßenlaterne anlegt, eine Straßenschlacht eskalieren lässt, in der Annahme, er habe es mit einem sozialdemokratischen Aufruhr zu tun. Oder die des Berliner Schutzmannes Friedrich Wilhelm Lehmann, der ein zehn- bis elfjähriges Mädchen wegen Störung der öffentlichen Ordnung niederknüppelt, und niemand hindert ihn daran. Immerhin eine Amtsperson, die handelt. Da kann man nicht ungestraft eingreifen.

Oder derselbe Lehmann, der eine 18jährige vergewaltigt, angezeigt wird, aber nicht nur davonkommt, sondern noch dafür sorgt, dass das Mädchen wegen Meineids zu vier Jahren Haft verurteilt wird, ja noch zwei Jahre mehr erhält, weil es gewagt hat, sich kratzend gegen ihn, die Amtsperson, zur Wehr zu setzen. Zu Fall gebracht hat ihn dann erst, dass er sich – nach Bonn versetzt – an einigen Burschenschaftlern vergriffen hat. Das war dann der Amtshandlungen eine zuviel.

Literarisch geht das auch, nachzulesen in Franz Jungs „Die rote Woche“, oder auch -nur als Anmutung – die Schlussepisode aus Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“, in der der mittlerweile heruntergekommene Pinneberg durch einen Wachtmeister von der Auslage eines Delikatessengeschäfts vertrieben wird. Polizei war und ist bis heute auch Teil eines herrschaftsstabiliserenden Apparats. Womit noch nichts schlechtes gesagt ist.

Zum anderen bleibt unbenommen, dass Polizisten immer beides sind, Amtsperson und Privatperson. Die Privatperson haftet im übrigen dafür, wenn die Amtsperson falsch handelt, ansonsten geht sie uns aber nichts an, weil Polizisten einem immer – in der Ausführung ihres Berufs – als Amtspersonen entgegentreten. Allerdings kann man auch hinreichend anständig mit Amtspersonen umgehen; hilft in vielen Fällen. Wenn auch nicht, wenn sie einen gerade niederknüppelt oder auf dem Hals hockt.

Da mag man es als Versagen des Staates verstehen, wenn Polizisten von einem wütenden Mob beschimpft und vertrieben werden.

Man mag es jedoch auch als erstaunliche Entwicklung sehen, dass Polizisten heute – nicht anders als Postbeamte oder Bahnschaffner – in Deutschland hemmungslos beschimpft werden (ja, auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus, um das mal so zu formulieren). Das zeigt nämlich nicht nur die Verrohung der Sitten an (was eine schon ziemlich auftragende Klage ist, die angesichts der Untaten einer angeblich so gesitteten Welt kaum noch zu ertragen ist), sondern auch, dass das Amt, dass die staatliche Verfassung sich nicht mehr über die, die sie betrifft, hinwegsetzen kann.

Staat muss eben auch was aushalten (wie ja auch seine Bürger was aushalten müssen), und wenn irgendwer dabei aus dem Ruder läuft, dann muss er/sie dafür eben die Konsequenzen tragen. Eine Amtsperson attackiert man nicht ungestraft, und eigentlich sollte eine Amtsperson auch niemanden ungestraft, mindestens aber unüberprüft attackieren dürfen.

Nicht die Polizei ist mithin das grundsätzliche Problem, sondern eine Gesellschaft, die sich eine Polizei hält. Erlaubt sie sich, um eine Formulierung Heinrich Manns zu verwenden, sich irgendeiner Autorität zu unterwerfen (das stammt aus „Geist und Tat“, 1911, unerhört lesenswert), dann hat das für alle Beteiligten unangenehme Folgen, nicht nur für die üblichen Verdächtigen.