Radikal als Eigenwert

4. Dezember 2010

Slavoj Zizek hat in Le monde diplomatique (November 2010) einen Aufruf zur Radikalität veröffentlicht, in dem  er unter anderem die Gewalt betont, die der staatliche Apparat durch seine Existenz ausübt. Dagegen sei Gegenwehr notwendig und legitim. 
Das mag man akzeptieren, freilich ist diese Verbindung von staatlichen Institutionen und Gewalt nicht frei von mystifizierenden Elementen. Wie auch deren Gegenteil, von dem Zizek merkwürdig unscharf spricht. 
In der Tat mag eine Linke derzeit nicht wissen was zu tun ist, aber zu wissen, dass gehandelt werden muss, will sie sich nicht unkontrollierbaren Gewalten unterwerfen. Aber daraus Radikalität abzuleiten, statt Genauigkeit, ist für eine Gesellschaft insgesamt zu wenig. Wer sich darauf einlässt, geht ein Risiko ein, das nicht nur ihn selbst betrifft, sondern die Gesellschaft insgesamt. Und nichts für ungut: die Zähmung des Kapitalismus mag angsichts des Reichs der Freiheit ungenügend erscheinen, und wird auch schwierig genug sein. Aber trotzdem, es gibt kein Jenseits der Gesellschaft, und wer sie insgesamt zur Disposition stellt, weil sie eben einem absoluten Maß nicht entsprechen kann, der handelt blind und (ja ok, wenig spanndend) verantwortungslos, weil nicht auf eigene Kosten. 
Das spricht nicht gegen die Kritik und gegen Gegenwehr, aber Lacan ist meines Erachtens ein schlechter Ratgeber, was die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaft angeht.