8. Januar 2018
Neue Untergänge aus dem Braunkohleland: Nach dem Haus Paland in Borschemich wird nun auch die Pfarrkirche in Immerath im Rahmen des Ausbaus des Braunkohletagebaus abgerissen. „‚Kohle-Taliban‘ schleifen Kirche“ textet der TAZ-Berichterstatter Manfred Kriener in seinem Artikel, der am 5. Januar 2018 in der Rubrik „Wirtschaft + Umwelt“ erschien. Zu seinen Gunsten muss man freilich bemerken, dass der Taliban-Spruch nicht von Kriener selbst stammt. Was das Ganze aber kaum besser macht.
Aber noch einen Schritt zurück: Borschemich? Immerath? Kaum jemand außerhalb des Kreises Heinsberg, der sich als westlichster Kreis der Bundesrepublik vermarktet, wird je von diesen Orten gehört haben. Und jetzt sind beide Orte symbolbeladene Träger des Widerstands gegen eine veraltete, kapitalistisch und hoheitlich verfügte Energiepolitik? Wenn da nicht die Gelegenheit Diebe macht, bei den Bürgerinitiativen vor Ort und eben bei der TAZ, die sich ihnen und ihren Lesern anbiedert.
Lassen wir die Frage alte oder neue Energien beiseite, und bleiben wir einen Moment bei der Berichterstatter. Und da zeigt sich die TAZ eben nicht von ihrer kompetenten, sondern von ihrer – ja – verlogenen Seite. Denn allzu verliebt spielt Kriener mit der Aufwertung der Ortskirche Immeraths als „Immerather Dom“, der mit einem Mal zum „Kultur-Denkmal“ gerät, dessen Abriss zweifelsfrei barbarisch ist (das letzte ist vom Verfasser dieser Zeilen unterstellt). Und eben auch noch voreilig – bedenkt man (und jetzt ist die Energiepolitik doch wieder dabei) die Jamaika-Sondierungsgespräch und den letzten Klimagipfel, bei denen die Braunkohleverstromung halbwegs abgeschafft werden sollte.
Nun begleitet mindestens den rheinischen Zeitgenossen der Ausbau des Kohletagebaus seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, also eben ca. 40 Jahre. Ob dabei ein Umweltgipfel und Sondierungsgespräche, die kurz vorher gescheitert sind, tatsächlich Basis für langjährige Entscheidungen sein können?
Und noch eins: Das Verfahren, mit dem der Tagebau genehmigt wurde, mag kritik- und verbesserungswürdig sein, die im TAZ-Bericht allerdings durchscheinende alte Obrigkeits- und Ausbeutungsrhetorik, ignoriert allerdings eben beiläufig, dass das Verfahren der Beleg für genau das Gegenteil ist. An anderer Stelle und in Sachen Ausbau der Erneuerbaren Energien tauchen solche Argumente merkwürdiger Weise gleichfalls auf. Nur dann sind es die Anrainer etwa von Windeignungsgebieten, über deren Köpfe hinweg solche Eignungsgebiete ausgewiesen und bebaut würden. Schaden gibt es dann bei der Kulturlandschaft, bei den Fldermäusen, beim Nachschlaf der Anrainer und bei den Grundstückspreisen – und diese Reihung stammt nicht von mir.
Die Aufwertung der Immerather Kirche zum Kulturdenkmal, für das gebetet werden wird, damit es nicht zerstört werde, lässt im Übrigen auch beiseite, dass sich für den Bau sonst eben keiner (außerhalb des Stadtgebiets Erkelenz, zu der Immerath gehört) interessiert hätte und bisher interessiert hat. Obwohl ich tatsächlich aus dem Stadtgebiet Erkelenz komme, muss ich das letzte Mal (vor meinem Besuch im Rahmen der Heimattagung in Erkelenz vor einiger Zeit) in meienr Kindheit vor der Immerather Kirche gestanden habe, ohne bleibenden Eindruck, was sicherlich auf die Ignoranz des Betrachters zurückgeht.
Der Niedergang der katholischen Gemeinden auch im ansonsten doch so katholisch geprägten Rheinland (in dem sich die Protestanten seinerzeit teilweise in geschützte Hofkirchen zurückzogen) führt auch bei den Kirchen zu existenziellen Nutzungsfragen, von denen niemand im vornhinein wissen kann, wie sie beantwortet werden. Jetzt aber, wo RWE das Kulturdenkmal abreißt, wird es zur Schande? Die einzige Schande ist, dass sich die TAZ und ihr Autor nicht zu schade dafür sind, solche reißerischen, geschmacklosen und vor allem vorgeschobenen Motive aufzunehmen und sie als selbstverständlich legitim herauszustellen.
Aber damit ist die TAZ noch nicht em Ende: Im nachgeschoebenen Beitrag von Bernd Müllender (TAZ vom 9.1.2018) wird die Greenpeace-Energiefachfrau Anika Peters zitiert, die den Abriss der Immerather Kirche „ganz furchtbar“ findet, „hier werden sofort Tatsachen geschaffen“. Wenn eine Energiefachfrau etwas zum Thema Kulturdenkmal zu sagen hat, liegt es nahe, dass sie als Argument zur Hilfe nimmt, was sich gerade anbietet.
Die Kollateralschäden einer solchen Berichterstattung sind aber kaum abzusehen. Die Indienstnahme von Kultur, Kirche und eben auch Heimat für den Widerstand gegen RWE (oder was auch immer) ist ein eklatanter Missgriff. Mit einem Mal sieht man sich in Gesellschaft von Kultur-Traditionalisten, Heimatromantikern und Naturschützen, und obwohl man selbst sich ale eher nachhaltig orientierter Mensch versteht, will einem diesem Gesellschaft nicht recht gefallen. Warum sich eine linke Zeitung wie die TAZ damit gemein macht, ist erklärbar – aber ein wenig mehr kritischen Geist, mithin journalistische KOmpetenz wird man sich doch wünschen dürfen.