Lückenerfindung

3. November 2020

Die Rede vom Desiderat, die durch die Antrags- und Dissertationsprosa geistert, gehört zu ihren lästigen Unarten. Glaubt das irgendjemand überhaupt noch, dass es in diesem oder jenem Bereich eine Forschungslücke gibt? Statt der Notwendigkeit, sich innerhalb eines Untersuchungsgebietes einer Perspektive und damit auch einer einigermaßen sinnvollen Auswahl aus dem Gegenstandsbereich zu bedienen? Dann müsste man ja auch die Werbeprosa vom Weltmarktführer Glauben schenken, die sich allenthalben auf Webseiten, Imagebroschüren oder IPO-Prospekten finden lassen, egal wie klein der Laden auch sein mag (das sind dann die hidden champion). Aber das will man von niemandem verlangen.

Außerdem hat die Rede vom Desiderat immer etwas von Selbstrechtfertigung, mit der die Beschäftigung mit einem Thema abgesichert werden soll und kann. Dafür muss dann die Lücke, so klein sie auch sein mag, derart stark ausformuliert werden, dass ihre Existenz beinahe zum Skandal gerät. Ob das Geldgeber oder Leser überzeugt, hängt wohl von Faktoren ab, die hier nicht zu diskutieren sind. Hat das irgendjemand nötig? (Außer, dass er/sie das Forschungsprojekt gefördert haben will?)

Aber selbst wenn man tatsächlich auf eine Forschungslücke gestoßen ist oder auf blinde Flecken, die frühere Forschungen gelassen haben, reicht es nicht aus, sie einfach zu füllen, meinetwegen garniert mit hinreichenden methodischen und theoretischen Reflexionen? Ist es nicht sinnvoller, neue Ideen und Ansätze durchzuspielen und sie anzuwenden, statt sich auf den fruchtlosen Infight mit dem Forschungsstand einzulassen? Was nebenbei bemerkt, ein Plädoyer gegen die unsäglichen Forschungsberichte ist, die Promovenden immer wieder abverlangt werden: Die Diskussion mit der Forschung gehört in die Abhandlung, entweder in den Text oder in die Fußnoten, alles andere sind Demutsübungen, die nicht publiziert gehören. Eine solche Entschlackung würde zumindest die späteren Leser/innen deutlich entlasten und ihnen die Möglichkeit geben, sich ganz auf die jeweiligen Themen zu konzentrieren.