Hungerspiele, Sprachspiele

29. April 2019

Tina Hartmann, Privatdozentin an der Universität Bayreuth, hat in der Wochenendausgabe der TAZ (27./28.4.2019) ein Plädoyer für die Entwicklung einer gendergerechten Sprache publiziert. Sie spricht sich darin dafür aus, dass Formen, in denen Diversität von Geschlecht anerkannt, weibliche und diverse Identitäten ihren Ausdruck finden können, kreativ entwickelt werden. Sie wendet sich zugleich damit gegen einige Petitionen, die sich gegen eine gendergerechte Sprache stellen, und die unter anderem von Matthias Matussek, Uwe Tellkamp, Monika Maron, Wolf Schneider und Sybille Lewitscharoff unterschrieben worden seien.

Dagegen wendet sich Tina Hartmann, aber sie tuts mit den ungeeigneten Mitteln, soll heißen, sie schludert ein bisschen:

Da ist zum Beispiel der Kurzschluss zwischen dem Umstand, dass eine Reihe Autorinnen und Autoren Petitionen gegen eine gendergerechte Sprache zeichnen, Hartmann aber der „germanistischen Zunft“ vorwirft, „meist die Letzte“ zu sein, „gesellschaftliche Umbrüche zu kapieren und sich dazu zu verhalten“. Da ja nun die Wahrheit (was immer das ist) immer konkret ist: Autorinnen und Autoren literarischer Texte gehören nicht zur germanistischen Zunft, sie gehören zum Literaturbetrieb, der wiederum Gegenstand der Germanistik ist, soweit er deutschsprachig ist. Nun mag es auch in der Germanistik Leute geben, die gegen eine gendergerechte Sprache sind, aber die werden hier nun mal nicht genannt. Und ansonsten sind gerade in der Germanistik die Bemühungen um eine gendergerechte Sprache nicht so selten.

Und gleich noch eine Mäkelei: Hartmann wirft sehr entschieden Literatur und Sprache in eins. Nun ist es nachvollziehbar, wenn Literatur als Sonderform von Sprache verstanden wird. Aber der Gegensatz zwischen „bürokratisch genauer Sprache“ und „Dichtung“, in der Sprache dann erst „schön wie kulturell wirksam werden“ kann, ist ein heftiger Anachronismus. Dass literarische Sprache nicht genau sein soll, mögen ihre Autorinnen und Autoren abweisen. Aber wer noch an Dichterinnen und Dichter glaubt, glaubt auch noch an ihre kulturelle Sonderstellung, was aber (wie sich die germanistische Zunft erarbeitet hat), auf eine Konkurrenzsitution um 1900 zurückgeht, in der sich die Dichter als extraordinär glaubten herausstellen zu müssen. Dichterinnen sind ihnen darin gefolgt. Ein etwas weniger schwelgender Begriff von Literatur wäre also hilfreich.

Schließlich: Die Versuche Ingeborg Bachmanns und Irmgard Keuns (Marieluise Fleißer nennt sie leider nicht), „für weibliche Wahrnehmung eine Stimme zu finden“ sind ja nicht misslungen, sie sind nicht einmal singulär. Was ist denn mit den Protagonistinnen Keuns und Bachmanns, die keine männliche Stimme erkennen lassen? Wer Keuns „Kunstseidenes Mädchen“ aufmerksam liest, wird die, ja auch verzweifelte, aber deutlich hörbare Stimme einer jungen Frau wahrnehmen, die um ihre Selbstbestimmung, um ihre sexuelle Selbstbestimmung kämpft. Und wen die bewusst reduzierte Sprache, die Keun ihrer Protagonistin zuweist, stört, wende sich eben an Fleißers sprachlich elaborierte Prosatexte aus den frühen 1930er Jahren, vor allem an die „Mehlreisende“. Hartmann scheint in diesen Passagen weniger gendergerechte Sprachformen als Texte zu forcieren, die weibliche Existenz in einer immer noch weitgehend von Männern dominierten Gesellschaft literarisch behandeln. Solche Texte sind im 20. und frühen 21. Jahrhundert zahlreich, sind keinesfalls nur minoritär, nicht nur „eine Maßnahme“, die eben noch nicht wirken konnte.

Bleibt noch die Sprache. Und die ist eben sehr böse, wenn man nicht aufpasst: „Mögen die Sprachspiele beginnen – und die besten Vorschläge gewinnen“? Anscheinend eine Anleihe an einer populäre Filmreihe, in denen die Spiele, die da zu spielen sind, schließlich zu einem Aufstand führen, der das etablierte Regime zerschlägt. Nur dass sich Hartmann hier bildlich auf die Seite des Regimes schlägt. Wenn das mal nicht anders gemeint war. Die Wendung von der „Sprache an sich“ erinnert an die Mahnung, doch möglichst konkret zu werden, der sich Hartmann ja selbst anschließt.

Aber Hand aufs Herz, ganz verkehrt ist Hartmanns Vorschlag nicht, zumal sie in diesem Text nicht vorschreiben will, wie eine gendergerechte Sprache aussehen soll. Das Gendersternchen sei immerhin nur eine Möglichkeit. An konkreten Vorschlägen nennt sie selbst nur, möglichst konkret, statt allgemein zu schreiben, „Du“ statt „man“ zu schreiben und Distanz aufzulösen. Das ist insofern interessant, da sich die Kritik an der Einführung gendergerechter Sprache ansonsten ja an den sperrigen Doppelformen, das alte „Innen“ oder eben das neue * festmacht. Der Linguist Peter Eisenberg hat den Versuchen, weibliche Formen neben männlichen zu etablieren, mit dem Verweis eine Absage erteilt, dass die allgemeinen Formen eben nicht männlich seien, sondern geschlechtsneutral. Dieses Argument wird freilich als Versuch verstanden, die Veränderung von Sprache in Richtung einer gendergerechten Fassung zu blockieren, was erstmal nicht falsch ist. Die daran anschließende weiter reichende Überlegung, dass die Sprache möglicherweise weniger konkret Geschlechterdifferenzen benennen muss, um gerecht, soll heißen angemessen zu sein, sondern abstrakter werden sollte, bleibt dabei verdeckt. Gerade die auch von Tina Hartmann ins Feld geführt Verpflichtung, neben den beiden konventionellen Geschlechtern auch noch eine unentschiedene oder abweichende Möglichkeit als Geschlecht eintragen zu lassen, weist doch aber in diese Richtung. Soll heißen, mit der verpflichtenden Benennung von Männern und Frauen wird es schon schwierig genug, weil wir uns in der Sprache Formen bedienen, die sich an die weiblichen oder männlichen anlehnen, aber beide, nun mehr auch noch weitere Geschlechter meinen sollen. Es bliebe zu bedenken, ob der Vorschlag von Armin Nassehi (dummerweise in der FAZ vom 9.4. unter dem Titel „Was heißt es denn, eine Frau zu sein“), doch weniger auf die Benennung als auf Akzeptanz zu setzen, nicht weiterreicht. Eine halbwegs moderne Fassung des Rechts nach der eigenen Facon seelig zu werden. Eine Stimme haben Frauen oder Diverse nicht, wenn sie durch alle grammatikalischen Formwandlungen hindurch erkenn- und abgrenzbar sind, sondern wenn sie sich äußern und dafür Formen verwenden, die ihnen angemessen scheinen. Für alle übrigen bliebe eine Abwandlung einer Formel anwendbar, die am Nassehi-Lehrstuhl verwendet wird, wenns um die Verwendung gendergerechter Sprache in Seminararbeiten geht: „Ihre Entscheidung wird nicht sanktioniert.“