29. Januar 2021
Anscheinend zeigt das anhaltende Gerede von Heimat in der Öffentlichkeit Wirkung: Man kommt nicht mehr um sie herum, egal in welchem Zusammenhang. Soll heißen, wenn man schon auf den Sport- und Reiseseiten mit Heimat belästigt wird (bei Kochbüchern und Obstkisten ist das ja schon länger so), dann wird es langsam unangenehm.
Fall 1:
In der FAZ vom 28. Januar 2021 wird auf der Sportseite vom Empfang Mesut Özils bei seinem neuen Club Fenerbahce Istanbul berichtet, der anscheinend groß aufgezogen worden ist. Bei dieser Gelegenheit hat Özil wohl auch, so der Bericht, „über seine deutsche Heimat“ gesprochen, soll heißen über eine mögliche Rückkehr in die Fußballnationalmannschaft oder die Bundesliga, was er anscheinend entschieden abgelehnt hat. Nun mag man Özils Unterstützung des türkischen Präsidenten Erdogan nicht gutheißen, man mag auch das Ende des vormaligen DFB-Prestigeprojektes Integration bedauern (ohne dabei irgendwem die Schuld daran zuzuschieben).
Özils neues fußballerisches Engagement, das ohne Politik nicht zu haben ist, im Bericht ganz nebenbei aber mit seiner wahren Herkunft („Heimat“ eben) zu diskreditieren, ist allerdings eine kleine Zumutung, eine unnötige Spitze, die eigentlich niemand braucht. Der Kurzschluss Heimat – Fußballnationalmannschaft/Bundesliga ist eh ein bisschen gewagt, auch wenn ein Profi-Fußballer sein Leben in großen Teilen in der Blase Fußballwelt verbringt. Dass Özil in Gelsenkirchen geboren ist, wird im Artikel im Übrigen erst zum Schluss erwähnt, aber das gönnt sich und uns der Verfasser des Artikels immerhin noch.
Fall 2:
In derselben Ausgabe der FAZ, auf den Reiseseiten, wird der Band eines Fotografen (Bernhard Fuchs) mit Motiven aus dem Mühltal vorgestellt (gezeigt wird zweimal Baumstamm, einmal Bach). Bemerkenswert ist, dass im Beitrag eingeräumt wird, dass Fuchs das Mühltal als seine „Herkunftsgegend“ bezeichne. Auch habe Fuchs ausdrücklich nicht Bäche, Felsen und Bäume, sondern Wasser, Stein und Holz fotografiert. Also ein ernstzunehmender Mensch.
Allerdings gesteht ihm der Verfasser des Beitrags das alles nicht zu, anscheinend um den Tenor des Artikels, mit dem der Band ganz konventionell als Selbstpositionierungsprojekt in der Welt mit Anlehnungen an die Philosophie des Transzendentalismus und gleich Adalbert Stifter (den Fuchs anscheinend in der Tat für die Widmung bemüht) beschrieben werden soll, nicht zu gefährden.
Im Vergleich dazu bleibt für die Wortwahl Fuchs‘ dann nur der abfällige Vergleich mit der Inventarliste der Siedler von Catan. Und selbstverständlich (oder vielleicht doch in diesem Fall: natürlich) zeige Fuchs in seinem Band „Heimat, auch wenn er es nicht so nennt“.
Demgegenüber ist nur darauf zu beharren, dass die Wahl des Ortes, wo man sich zuhause fühlen will, immer noch einem selbst vorbehalten bleibt und man sich solche Distanzlosigkeiten doch eigentlich verbittet.