Ferien auf Sagrotan

Astrid Lindgrens Kati-Reihe und der Abbruch des weiblichen Emanzipationsromans

24. September 2022

Astrid Lindgrens „Kati in Italien“, 1952 zuerst auf Schwedisch erschienen, 1953 auf Deutsch, setzt das Konzept der weiblichen Emanzipationsromane aus den späten 1920er und frühen 1930er Jahren, wie sie aus Deutschland bekannt sind, fort. Zugleich bricht Lindgren mit diesem Text das Skandalon der Romane Marieluise Feißers, Vicki Baums oder Irmgard Keuns.

Sicher, auch Lindgrens Kati ist berufstätig, und wie es sich gehört, als Sekretärin, die sich – wenigstens grundsätzlich – eben auch der Avancen ihrer männlichen Chefs in Ehekrisen erwehren muss. Ähnliches ist auch Gilgi, Doris oder Frieda widerfahren. Und wenn man den Kreis erweitert, dann wird daraus ein immer wieder kehrendes Muster, das zum weiblichen Berufsleben gehört. Aber Lindgren nimmt dem bereits die Spitze, indem sich die weiblichen Angestellten vor allem kopfschüttelnd über das ungeschickte Vorgehen im angespielten Fall verständigen, ansonsten aber nicht in Gefahr geraten, sich gegen solche Angebote nicht mehr wehren zu können. Und sei es aus materiellen Gründen.

Denn Kati ist wenngleich zu Beginn nicht wohlhabend, immerhin doch so gut ausgestattet, dass sie – gemeinsam mit ihrer Freundin Eva – eine eigene Wohnung halten kann. Ihr Gehalt ist knapp, aber halbwegs auskömmlich. Dies ist aber in den Romanen der späten 1920er und frühen 1930er Jahren nicht zwingend gegeben, so dass die Liaison am Arbeitsplatz als eine Möglichkeit vorgeführt wird, sich aus der materiellen Zwangslage zu befreien. Wie auch die Verbindung mit einem älteren, wohlhabenden Mann, wie dies noch in Helen Wolffs soeben aus dem Nachlass erschienenen Roman „Hintergrund für Liebe“, der gleichfalls aus den 1930er Jahren stammt, erkennbar vorgeführt und diskutiert wird. Doris entkommt der Prostutionsfalle gleichfalls nur knapp, während Frieda Geier immerhin einen, wenngleich nicht zweifelsfreien Beruf hat, den sie nicht aufgibt. Sie ist Mehlreisende.

Die materielle Zwangslage, die zu zweifelhaften Verbindungen führt, fehlt in Lindgrens Roman (fast) völlig. Eva erwähnt einmal den Millionär, den sie eigentllich bräuchte, der aber in der Kürze der Zeit nicht herbeizuschaffen ist. Aber unabhängig davon, das Fehlen der materiellen Not eröffnet die Möglichkeit, die persönlliche Liebeswahl in den Vordergrund zu stellen. Also kein wohlwollendes „Grünes Moos“ oder den proletarischen Kameraden, wie im „Kunstseidenen Mädchen“ Irmgard Keuns, sondern ein Verhältnis aus freien Stücke und ohne Zwang.

Damit das auch sinnfällig wird, lernt Kati ihren Lennart in Venedig kennen, trifft ihn in Rom wieder und bekennt freimütig und einseitig ihre Liebe. Damit bricht der Roman aber, so sehr er die freie Wahl der Frau auch zu feiern vorgibt, mit dem eigentlichen Skandal der Vorgängerinnen, dass nämlich im Liebesverhältnis zugleich der Aufstieg von Frauen zur Selbstbestimmung vorgeführt und reflektiert wird.

Liebschaften sind damit in den frühen Romanen die Folie, auf der die Bedingungen diskutiert werden, unter denen Frauen selbständig sein können. Und da spielen Männer eben eine spezifische, nicht immer gute Rolle, selbst dann nicht, wenn sie wohlwollend sind.

Das Pendant zum „Zimmer für sich allein“ Virginia Woolfs ist der soziale Raum der Selbstbestimmung allgemein. Der wird in Lindgrens Roman jedoch für die Totalität der persönlichen Partnerwahl aufgegeben. Die Frau wählt zwar ihren Mann, aber dann nur deshalb, um in dieser Beziehung aufzugehen.

Was sie in „Kati in Paris“ (1953 in Schweden erschienen) dann auch klarsichtig kommentiert: „Erst vor einem Jahr hatte ich Jan gesagt: Nun ja, ich würde mich wohl mit ihm verheiraten, aber vorher müsse ich versuchen zu erfahren, wie es wäre, selbständig zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen (…). / Da kam Lennart. Und da zeigte sich, daß dies alles nur Geschwätz war. / Ich war bereit, in jeder Sekunde meine Selbständigkeit aufzugeben, und hatte keinen größeren Wunsch, als jemanden zu haben, der sich meiner annahm. Vorausgesetzt, daß dieser Jemand Lennart war!“

Das Muster aus Keuns „Gilgi“ ist noch zu erkennen, und auch hier folgen die Bemühungen, sich in ein neues Leben, jetzt mit Mann, einzugewöhnen. Die wichtigste Abweichungen sind: Der Mann gehört Katis Generation und zu ihrem sozialen Referenzbereich, er ist, wenngleich noch angehender Anwalt, aber eben nicht älter und wohlhabend. Es folgen das Kind und der Abschied vom Büro (Kati kehrt wohl nicht zurück) – womit sie dann den Weg einschlägt, den man in der Nachkriegszeit erwartet. Kein Aufbruch in die große Stadt, um sich und das Kind durchzubringen, sondern der Rückzug auf die Trias von Mutter, Kind und so eben noch Mann. Der Fokus wird neu ausgerichtet. Sogar die beste Freundin Eva wird unter die Druckmaschinenverkäuferhaube gebracht.

Dabei kann man weder der Autorin noch ihren Figuren (die immerhin keine Intellektuellen sind) nicht nachsagen, dass sie in einer kleiner heilen Welt leben. Kati nimmt das soziale Gefälle in ihrem Umfeld durchaus wahr. Und sie vertreibt sich die Zeit in Paris eben nicht nur auf den Vergnügungsmeilen, den Mode-, vor allem aber Hutläden oder den amourösen Stätten, die einem frisch verheirateten Paar so eben noch zustehen. Sie kommen in einem Hotel unter, in dem Robbespierre gewohnt haben soll und die junge Madame Curie. Sie kennen ihren Schopenhauer und was er zur weiblichen Attraktivität zu sagen hat (Hans Castorp hatte vergleichbare Lektüren), und Eva kauft sich Baudelaires „Blumen des Bösen“.

Dennoch bricht Lindgren mit dem reflexiven Moment der Konzepte weiblicher Emanzipation der frühen 1930er Jahre- und das ist bemerkenswert.