Kurze Notizen zu einem Genre
29. November 2024
Biografien sind in den Kulturwissenschaften wahlweise ein
Zugeständnis an die Restbestände der Genieästhetik oder ein Eingeständnis, sich
dem Authentifizierungszwang der Moderne nicht entziehen zu können. Ob nun das
Originalgenie in seinen jeweiligen Abnutzungsformen im Vordergrund steht, die
seit der Wende zum 20. Jahrhundert vorgeführt worden sind, oder die Echtheit
des persönlichen Ausdrucks, die aufgrund der Abstraktheit moderner Systeme
beschworen wird, bleibt wahrscheinlich unentscheidbar. Jedenfalls kommt
irgendwann der Moment, in dem der Autor des Werks das Werk zu verdrängen
beginnt, weil nur er (oder sie) selbst für dessen Authentizität und/oder
Wirkmacht einzustehen vermag.
Dabei hat Svetan Todorov biografische Arbeiten vor
langen Jahren bereits (in seinem Artikel zur „Poetik“) mit ziemlich deutlichen
Worten aus dem wissenschaftlichen Feld verwiesen. Er ist aber damit –
offensichtlich – grandios erfolglos geblieben. Der Vorrang des Werks vor seinem
Autor hat sich anscheinend ebensowenig durchsetzen lassen wie die Idee,
dass kein individueller Autor Werke hervorbringt, sondern sie sich selbst
generieren.
Dabei ist die Funktion dieser biografischen Operation erkennbar genug: Erst mussten Künstler resp. Autoren (die ja nicht nur schreiben, sondern auch andere Kunst hervorzubringen) den Verlust von Totalität
kompensieren (Goethe forever), dann mussten sie eben dafür einstehen, dass das,
was sie geschrieben, gemalt oder eben auch fotografiert hatten, auch
tatsächlich und wahrhaftig war und ist. Was am Beispiel der Fotografie schon als
beeindruckende Volte gesehen werden darf, wo sie selbst ja schon das Tatsächliche
und Wahrhaftige garantieren soll.
Was zu einer weiteren Nebenbemerkung führt, hier zu den methodischen Sollbruchstellen von Biografien, kommen sie doch einerseits ihren Objekten notwendiger Weise extrem nahe, während andererseits Leerstellen biografischer Verläufe einigermaßen plausibel gefüllt werden müssen – was allemal den Vorwurf mangelnder Distanz einerseits, unzulässiger Extrapolation andererseits provoziert.
Anders formuliert, Biografen kommen in den Verdacht, sich mit den porträtierten Gestalten der Geschichte allzusehr zu identifizieren. Was allerdings wohl bei Hölderlin einen anderen Grad an Akzeptanz hat als etwa bei Hitler, Stalin oder Pol Pot. Zugleich sind große Teile von Biografien notwendiger Weise erfunden, weil Biografen unter dem Druck stehen, konsistente biografische Erzählungen zu liefern und keine wesentlichen Lücken zu lassen. Einzuräumen, dass es Episoden im Leben einer Person gibt, die biographiewürdig ist, kann dann schon als Eingeständnis von Biografen gelten, an ihrem Projekt gescheitert zu sein.