6. August 2021
In der TAZ vom 4. August 2021 listet Renate Kraft eine Reihe von Texten auf, die sich mit der Kolonialherrschaft in der Karibik beschäftigen. Literatur sei hier „Zeugnis der Verdrängung zum Beispiel von der Grausamkeit der Kolonialherrschaft“ (Renate Kraft: Bilder von Zuckerinseln, in TAZ v. 4.8.2021). Unter den Texten, die sie vorstellt, ist Heinrich von Kleists Erzählung „Die Verlobung in St. Domingo“ aus dem Jahr 1811. Eine der zentralen Figuren ist der ehemalige Sklave Congo Hoango, der sich trotz der privilegierten Behandlung durch seinen zeitweiligen Herrn gleich zu Anfang des Aufstands in der Kolonie gegen die Kolonialmacht stellt und deren Repräsentanten, seinen vormaligen Herrn als allererstes, umbringt. Congo Hoango wird als grausamer, gewalttätiger scharzer Mann eingeführt, bleibt in der Folge aber weitgehend im Hintergrund, als stete Drohung, die jederzeit zurückkehren kann, um jeden Weißen, der ihm in die Fänge gerät, umzubringen. Die Geschichte, die Kleist erzählen will, beginnt damit, dass die Tocher seiner Gefährtin Babekan in Liebe zu einem Schweizer, mithin weißen Flüchtling fällt, der an die Hintertür des ehemaligen Gutshauses klopft, in dem Congo Hoango nun lebt, und um Schutz für sich und seinen Tross bittet.
Congo Hoango ist außer Haus, die zurückgebliebene Babekan geht zum Schein auf die Bitte Schutzsuchenden ein, versucht die verhassten Weißen aber solange hinzuhalten, bis Congo Hoango zurück ist. Ihre Tochter Toni, eine Mestizin, von ungeheurer Schönheit, dient dazu als Lockvogel. Aber wie es die Geschichte will, Toni und der Schweizer, ein gewisser Gustav von der Ried, fallen in Liebe zueinander. Zur Unzeit, Hoango kehrt zurück, die Situation eskaliert. Tonis Versuch, den Geliebten und seine Verwandten zu retten, scheitert tragisch, soll heißen, der liebende Mann tötet seine Geliebte, weil er sich verraten fühlt, als er erkennt, dass er geirrt hat, tötet er sich selbst. Die verbliebenen Schweizer Flüchtlingen kommen ungeschoren davon.
Der Text ist – wie stets bei Kleist – irritierend, die Einführung Congo Hoangos ist extrem. Zutreffend ist auch, dass Kleist als Erzähler, mitteilt dass die Geschichte aus einer Zeit stamme, in der „die Schwarzen die Weißen ermordeten“. Womit er – aus Sicht von Renate Kraft – das rassistische Muster bedient, denn er verschweige, dass „im Verlauf von Revolution und Befreiungskrieg (anzunehmen ist, dass der Befreiungskrieg des späteren Haiti gemeint ist) etwa zweieinhalbmal soviele Schwarze umkamen wie Weiße“. Außerdem habe Kleist mit der Figur des Congo Hoango „das Schreckensbild vom bösen schwarzen Mann mitverbreitet – eine paranoide Vorstellung, die aus der Weigerung der Europäer entstand, die eigene koloniale Gewalt anzuerkennen“.
Nun kann man literarischen Texten wohl entnehmen, was einem beliebt, dennoch darf behauptet werden, dass diese Interpretation Krafts am Text Kleists vorbeigeht. Das beginnt beim einführenden Satz der Erzählung, in dem schon alle Themen untergebracht sind, die Kraft stören: “ Zu Port au Prince, auf dem französischen Anteil der Insel St. Domingo, lebte, zu Anfange dieses Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weißen ermordeten, auf der Pflanzung des Herrn Guillaume von Villeneuve, ein fürchterlicher alter Neger namens Congo Hoango.“
Damit hat es sich schon aber auch schon fast; sicher der Hinterhalt für fliehende Weiße wird geschildert, Gustav von der Ried gerät hinein, die Rückkehr Congo Hoangos, oder des „Negers Hoango“ wird jederzeit erwartet, er kommt auch früher heim als angekündigt, aber von seiner Urgewalt ist wenig im Text zu spüren. Ganz im Gegenteil, er muss sich der List Tonis und der anderen Schweizer fügen und sie ziehen lassen. Was offensichtlich gegen den Anfang des Textes gesetzt ist.
Aber die Erzählung interessiert Kraft ja nicht, sondern lediglich der „falsche“ Satz zu Beginn und das negative Bild des schwarzen Mannes. Statt das Konzept des Textes zu beschreiben und daraus zu bestimmen, wie zum einen der Satz des Erzählers begründet und zum anderen die Anlage der Figur Congo Hoango angelegt ist, beschränkt sich Kraft also auf eine Art Musterdropping: Der Satz über das Töten von Weißen wird nicht als Verweis auf die Umkehrung der Verhältnisse gesehen, sondern als falsifizierbare Tatsachenbehauptung, die die Verantwortung von Weißen mindern soll. Ähnliches geschieht mit der Figur Congo Hoangos, der eben als Personifzierung des wilden, grausamen, schwarzen Mannes von allen sonstigen Bedeutungen für den Text abstrahiert wird. Dass er für die gewaltsame, ja grausame und konsequente revolutionäre Befreiungstat stehten mag, die von einer Instanz verkörpert wird, die in der konventionellen Gesellschaftsstruktur der Zeit, eben als Sklave, ganz unten steht, bleibt außen vor.
Bliebe man also bei Krafts knapper Deutung, hätte Kleist nicht schreiben dürfen, das Schwarze Weiße töten, weil er damit verdeckt, dass mehr Schwarze als Weiße in den damaligen Auseinandersetzungen umgebracht worden sind. Und er hätte Congo Hoango nicht grausam und verschlagen agieren lassen dürfen, weil er damit das Schreckensbild des Schwarzen Mannes mit verbreitet hat.
Hätte Kleist aber auf beides verzichtet, hätte er – konsequent – diese Erzählung nicht schreiben können und dürfen. Ein Text weniger, der Unrecht für Recht ausgibt, wäre also in der Welt.
Oder die Irritation, die sich bei der Lektüre des Textes einstellen kann, wird als das genommen, was sie wohl sein soll: der Versuch, das wohlfeile Einverständnis mit der Welt, wie sie ist, zu erschüttern einerseits, und andererseits die Legitimität der aufständischen Gewalt (in Kleists Fall eigentlich gegen die napoleonische Fremdherrschaft) drastisch zu feiern. Das eine mag uns wohl bis heute gefallen, das zweite angesichts des zweifelhaften Charakters der antinapoleonischen Front nicht wirklich freuen. Und schließlich, alle Schrecklichkeit nützt weder den Schwarzen noch dem schwarzen Mann, wenn ihre Feinde schließlich davon kommen.