Albernheiten, lyrisch

11. April 2019

Welch unsicheren Stand die Lyrik hat, lässt sich gelegentlich an der Berichterstattung erkennen. Auch in Medien, die dazu nicht berufen sind, weil was hat Volkes Stimme in der Kunst zu suchen? Zumal dann, wenns nur die vermeintliche ist: Da berichtet die BILD-Zeitung am 9.2.2019 doch tatsächlich davon, dass die Stadt Frankfurt (Main) ein Lyrik-Event mit 250.000 Euro unterstützt. Ein Event immerhin für einen „etwas spezielleren Geschmack“, heißt es in dem Artikel, der sich dann genüsslich im Werk eines schwedischen Lyrikers suhlt, der auch bei dieser Gelegenheit gelesen hat und in dessen Texten jemand den Finger in diverse Körperöffnungen stecken soll.

250.000 Euro für solch einen Schwachsinn, wo Städtische Bühnen und Zoo dringend Geld brauchen (also die Orte wo die einen oder anderen Leute hingehen)? Zur Lyrik eben nicht. Da titelt man doch gern: „Noch ganz dicht?“ Was ein lustiges Wortspiel sein könnte, aber kaum mehr als ein „na und?“ verdient. Wenns danach ginge, gäbs Diverses nicht. Immerhin wurde mal eine Veranstaltung mal nicht mit 5.000 Euro abgefunden, die sich mit Lyrik beschäftigt.

Nun ist es kein Todesurteil, wenn die BILD-Zeitung derart über Lyrik urteilt. Und man muss die Kulturleistung der BILD-Zeitung hochachten, hat sie es doch – verstärkt in jüngster Zeit – geschafft, eine sterbende Institution wie den Stammtisch wenigstens virtuell am Leben zu erhalten. Das ist eine Leistung.

Den Hinweis auf diesen real existierenden BILD-Artikel, der sogar namentlich gezeichnet ist, kann man einem Bericht zum Lyrik-Kongress und -Event entnehmen, der am 11.3.2019 in der FAZ erschienen ist. Und eben auch ein paar Hinweise dazu, wie denn die neuesten Lyriker so ticken. Sie kämpfen mit der schnellen Veraltung (also mit den Säuen, die durchs Dorf gejagt werden, an dessen anderem Ende sie auch nur geschlachtet werden) und damit, dass sie sich unter der Hand dem „verkorksten Unternehmejargon“ anzunähern scheinen. Und eben mit der Angst, nicht gelesen zu werden. Aber die sollte doch schon lange zum Alltag von Lyrikern gehören – wenn denn diese Angst nicht eh Teil einer Weltanschauung ist, in der Gedichte zum Lesen da sind. Und auch wenn der Berichterstatter zum Schluss davon spricht, dass eine „Rettung“ der Lyrik nur „in einer größeren Leserschaft“ bestehe, muss man bezweifeln, ob sie sie erreichen wird.

Stünde ihr nicht mehr Selbstbeüglichkeit besser? Immerhin noch in den glorreichen 1960er Jahren schrieb Günter Eich von den beiden Lesern, die er hatte. Aber wieso: Die Literatur war gerade abgeschafft, Lyrik aber erzielte hohe Auflagen, und dennoch die ironische Klage Eichs. Was sollen heutige Lyriker da erst sagen?

Was aber spricht der Lyriker? Der eine fragt öffentlich: „Hast du das Gefühl am Anfang eines Prozesses zu stehen“. Und der andere antwortet ebenso öffentlich: „Das weiß ich noch nicht so genau.“ Auch das ist dem Bericht der FAZ zu entnehmen, und ist sehr lustig. Solche Formen der Erweiterung der Sprachwahrnehmung und -verwendung haben wir doch gern. Auch wenn aus einer Zeile Lyrik etwas ganz anderes wird, kaum wird sie übersetzt. Da dürfen Zuhörer und Leser auch mal lachen. Oder vulgo: Niemand ist ohne Fehl, aber die Rettung der Menschheit durch lyrischen Sprachgebrauch muss dann wohl doch noch vertagt werden.