31. Juli 2020
Hass-Mails, Politiker-Bashing, Gewaltexzesse bis hin zur unverhohlenen Morddrohung? Was in den letzten Jahren als Problem der sozialen Medien gehandelt wird, ist ein altes Thema der Massengesellschaften und eben auch der Demokratien, wenn das alles nicht noch älter ist, „Dolch im Gewande“ eben hat ja klassische Traditionen. Das wird an einer Schnittstelle der politischen Geschichte erkennbar und an einer hübschen kleinen Publikation, die ihren Ort in der kleinen Kurt Eisner-Werkausgabe gefunden hat, die seit kurzem bei Metropol in Berlin erscheint.
„100 Schmäh- und Drohbriefe an Kurt Eisner 1918/19“ heißt das Büchlein, das in den Kurt Eisner-Studien immerhin schon den sechsten Band ausmacht. Und siehe, da sind se schon alle da, die, die es gut mit Eisner meinen, ihm mal Wahrheit sagen oder die Meinung geigen wollen, oder die, die ihm unverhohlen den Tod wünschen und androhen. Da sind sie, die Eisner als den landfremden Juden und Bolschewisten beschimpfen, der sich an den edelsten Gütern der deutschen Nation vergangen hat, am Geld, am Militär, am Generalfeldmarschall Hindenburg oder an der deutschen Kriegsschuld. Sehr einschlägig wird das alles, wenn der „stinkische Judenbub“ auch noch zum „dreckigen Stinkpreußen“ hinzuaddiert wird, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen.
Dass solche Briefe in den wenigen Wochen zwischen dem 8. November 1918 und dem 21. Februar 1919, in denen Eisner erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern war, aus der „bürgerlichen“, ja „demokratischen“ „Mitte“ versandt wurden, kann niemanden wundern, der die aktuelle Diskussion darüber verfolgt, ob die verbalen Hassausbrüche und Gewaltfantasien in der bürgerlichen Mitte angekommen sind. Es schreiben „Ein Bayer“, „Ein Neutraler“, „Tausende von Bürgern und Soldaten“, ja, sogar „Ein Mann mit Rückgrat“, der freilich nicht mit Klarnamen zeichnet. Bleibt man bei diesen „100 Schmäh- und Drohbriefen“, dann war sie immer schon da.
Die Neigung dazu, den politischen Gegner niederzumachen und ihm den Tod an den Hals zu wünschen, hat sich bereits vor hundert Jahren Bahn gebrochen, und wie man nicht zuletzt am Beispiel Kurt Eisner sehen kann, ist die böse Tat dem bösen Wort bald gefolgt. Was nicht nur den bekennenden Sozialisten Kurt Eisner getroffen hat, sondern eben auch andere Politiker, die vor allem der politisierten und militarisierten Rechten nicht gepasst haben, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, in späteren Jahren Walther Rathenau und Matthias Erzberger. Also kaum etwas Neues unter der Sonne, auch wenn sie mittlerweile in digitalen Welten scheint?
Das ist eigentlich irrelevant, denn auch wenn man amüsiert auf die historischen Hass-Brief- und Postkartenschreiber blicken mag, vergeht einem das Amusement dann doch schnell, wenn man berücksichtigt, was darauf folgte, nicht nur während der Räterepublik, sondern über die kommenden zwanzig Jahre hinweg, bis die sich Bahn brechende Gewaltkultur dann mal eben so einen weiteren Weltkrieg und einen rassistisch motivierten Massenmord anzettelte. Wir können von Glück sagen, dass das vorbei ist, und mit ein bisschen mehr Vernunft, bleibt es auch dabei. Aber, wie wir alles wissen, gibt es genug Leute, die vom nationalistisch grundierten Unwesen immer noch nicht die Nase voll haben.
(Diese Absätze stammen aus einer Besprechung zur Kurt-Eisner-Edition, die bei literaturkritik.de erschienen ist. Der vollständige Text findet sich hier.