24. Juli 2019
In der „Zeit“ vom 13. Juni schrieb sich ein Journalist, der auf dem Land lebt, seine ländlichen Sorgen von der Seele. Es geht in diesem Text um den „Riss in der Gesellschaft“, der dadurch entstehe, dass in der Stadt Beschlüsse gefasst werden, die auf dem Land ausgebadet werden müssten. Das hört sich viele Zeilen lang so an als gehe es um politische Macht, bis dann der Verfasser, ein Martin Machowecz, tatsächlich auf die Diskurshoheit zu sprechen kommt, die die „Großstädter“ hätten. Aber das wirkt so nachgelagert, dass man das nicht ernst nimmt, oder eine unentwirrbare Gemengelage entsteht (Macht hamse, und Dksurshoheit auch noch).
Sein Muster ist, dass die Grünen in der Stadt das Sagen haben und auf dem Land die Leute da etwas gegensetzen müssen, um dem nicht ausgeliefert zu sein, kein Wunder also, dass sie AfD wählen. Die Beispiele von Machowecz sind Wolf, Windkraftwerke, Abbau der Braunkohleverstromung, Dieselfahrverbote und Autobahn. Alles, was da passiert, steigere das Gefühl der Landbewohner, dass man sie nicht ernst nimmt, sie nicht hört und sie bevormundet. Dabei wäre es doch so einfach, wenn man mal akzeptieren würde, dass die Leute auf dem Land nicht bevormundet werden müssen, sondern dass alles, „was in diesem Land wichtig ist“, „vom Dorf kommt“, Brot, Ferien, Energie zum Beispiel. Warum dann immer mehr Leute in die Stadt wollen?
Zwischendurch schlägt Machowecz alle Orte unter 100.000 Einwohner mal eben dem Land und der Provinz zu. Aha.
Aber das beiseite: Es wäre sehr schön zu wissen, ob Stadtbewohner sich im Unterschied zu Landbewohnern immer gehört, ernst genommen und nicht bevormundet fühlen. Denn auch in der Stadt hat jeder nur so viel Einfluss, wie ihm das System zubilligt, etwa über eine Wählerstimme oder über die Anhörungen und dergleichen, die es zu Bauvorhaben gibt. Die Berliner Anrainer des Vorhabens Dresdner Bahn werden dazu zweifellos einiges erzählen können.
Politisch gesehen ist eine Stimmmungslage, in der Bürger eines Staates sich nicht berücksichtigt oder gehört fühlen, immer schwierig. Es kann eben sein, dass sie dann zu radikalen Parteien neigen, die ihnen schnelle Lösungen versprechen. Das ist zwar kurzsichtig und fatal, aber für eine Zeit hält die Wirkung einer solchen Wahl an, vor allem dann, wenn alles, was sonst noch schief geht, irgendwem angelastet werden kann. Eine komplexe moderne Gesellschaft hat mit einer solchen Struktur Probleme, behaupte ich, aber das müsste auch erstmal bewiesen werden.
Auch das Folgende: Es gehört zum Staatsbürgertum auch dazu, hinzunehmen, dass die eigene Ansicht eben auch unterliegen kann und nicht durchkommt. Dass nicht dann, wenn man irgendwas weghaben will, das dann auch sofort geschieht. Aber was das angeht, haben Städter dieselben schrägen Haltungen wie Landbewohner.
Organisatorisch aber wird es keine Alternative dazu geben, dass politische Macht sich in einer Stadt ansiedelt. Selbst Bonn war, was das angeht, groß genug. Oder vice versa: Weil sich Macht irgendwo ansiedelt, wird dann Stadt. Siehe Berlin. Damit haben wir dann den Salat, wenn der denn tatsächlich nur in Berlin angerichtet würde.
Denn tatsächlich werden viele Themen eben nicht irgendwo da oben entschieden, sondern in einem zugegeben komplexen, aber schon lokalen resp. regionalen Entscheidungsprozess. Etwa das Thema, wo Windenergieanlagen hinkommen. Das entscheiden nämlich nicht einfach mal so ein paar Städter, aber auch eben nicht einfach mal die Leute, die grad mal da wohnen. Man muss egal wo auch Zumutungen hinnehmen (Autobahnen, Bahnstrecken, Windparks, Atomkraftwerke). Was Braukohle angeht, wird es in Grevenbroich relativ viel Zustimmung geben. Dort leben die Leute, die bei der alten Rheinbraun angestellt sind. In Erkelenz aber, wo Garzweiler II gebaut wird, sind die Leute dagegen. Beides keine Metropolen.
Und wieso gehen Landbewohner nicht hin und nehmen das, was sie haben und machen was draus? Sie haben Windparks vor Ort? Die Gemeinden und Anrainer profitieren davon. Was geht noch mehr? Dieselfahrverbote? Treffen erstmal Städter und dann erst Landbewohner, die unbedingt mit dem alten Auto ins Zentrum wollen. Autobahn nicht verbreitert, obwohl schon lange versprochen? Erstmal schaun, obs Widersprüche von Anrainern gibt, denen die Autobahn vor die Nase gesetzt wird oder die dafür enteignet werden.
Was sagt mir das? Vor allem, dass der Text von Machowecz schlechter Journalismus ist, weil er sich die Welt so zurecht legt, dass sie ihm passt. Das geschieht in gewissem Umfang bei allen Texten so, aber hier ist das merkwürdig offenherzig und offener Unsinn: Die Polarität von Großstädtern und Landbewohnern ist ein Fantasma und das wird absolut über alles gesetzt, was Machowecz einfällt. Kein Wunder, dass am Anfang und Ende der Landbewohner der Blöde, und der Stadtbewohner der Arrogante ist. Dafür häts keine ganze Seite in der „Zeit“ gebraucht.
Und als Nachsatz dann doch mal einen Karl Kraus: „Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen; aber dies Locken gefallen dem Publikum besser als eine Löwenmähne der Gedanken.“