Ross Thomas‘ Krimis sind (beinahe) perfekt. „Zu hoch gepokert“ demonstriert das
2. September 2023
Man könnte behaupten, dass der Krimi der Gegenwart allzu oft an den mangelnden Kompetenzen seiner Schreiber/innen leidet. Warum? Immer wieder spült es neue Autor/innen ins Genre (was kein Schaden ist), und die Verlage scheinen für alles halbwegs Taugliche dankbar genug zu sein, dass sie alle möglichen stilistischen und auch konzeptionellen Augen zudrücken. Anders lassen sich die zahlreichen schlecht geschriebenen und nicht zuende gedachten Krimis kaum erklären. Von denen, die aus anderen Gründen nicht hingehen, abgesehen. Allerdings muss hier gleich eingeräumt werden: Schlechte Krimis hat es immer schon gegeben. Aber der Glaube an die Lernfähigkeit eines Betriebs und eines Genres kommt einem schon gelegentlich abhanden – weshalb man gelegentlich dann zu einem der Großmeister greifen muss, um die Stimmung hoch zu halten und den Geschmack an den Verbrechen in der Literatur angesichts der zahlreichen literarischen, naja, Verbrechen nicht zu verlieren.
In diesem Fall soll es also der 1995 verstorbene amerikanische Altmeister Ross Thomas sein, dessen Werk seit einigen Jahren vom Alexander Verlag gepflegt und in einer neuen Übersetzung herausgebracht wird. Auch wenn der Verlag ansonsten vor allem großes Theater feiert, mit Ross Thomas hat er sich Dank verdient, der ihm hier entgegengebracht werden soll.
Das jüngste Produkt dieses Engagements ist ein kleiner, aber bemerkenswerter Krimi, der präzise auf den Punkt hin geschrieben ist. „Zu hoch gepokert“ heißt er in der neuen deutschen Fassung, als „Ein scharfes Baby“ hat ihn Ullstein 1974 bereits einmal gedruckt. Im amerikanischen Original ist er als „The Highbinders“ erschienen, noch unter dem Pseudonym Oliver Bleed – allesamt Titel, die wenig zu verbinden scheint; aber das Problem deutscher Titel ist seit Jahrzehnten virulent.
So bedenklich die Titelvarianten sind, so brillant ist der Text selbst, und das auch in der deutschen Übersetzung, die von Gisbert Haefs (sic!) stammt: Keine Zeile, kein Satz, kein Wort scheint zu viel zu sein, obwohl sich Thomas einige Abschweifungen erlaubt, die allerdings so in das Romangefüge eingepasst werden, dass Leser dabei immer bedient werden. Selbst was sonst als unverzeihlicher Fehler gilt, nämlich das Auftauchen eines „deus ex machina“ (bei Thomas sinds gleich mehrere) wird derart selbstverständlich inszeniert, dass ihm so etwas niemand krumm nehmen kann.
Die Geschichte, die Thomas hier um seinen Protagonisten Philip St. Ives herum baut, ist vom selben Understatement geprägt wie die Erzählweise insgesamt. Es braucht keinen brutalen Auftakt, um Leser zu fesseln, sondern nur einige amüsierende Sätze, die immer wieder demonstrieren, dass viel dazu gehört, gute Texte zu schreiben. Vor allem Zurückhaltung.
Jener Philip St. Ives nun, eigentlich ein Journalist, wird nach London geholt, um einen anfangs noch geheimnisumwehten wertvollen Gegenstand wieder zu beschaffen, der seinem Eigentümer entwendet worden ist. Der Deal dabei ist, dass es für den Eigentümer billiger und erfolgsträchtiger ist, sein Eigentum zurückzukaufen, als zu riskieren, dass es auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Meist handelt es sich um Kunst, manchmal um Schmuck, immer um etwas von Wert, gelegentlich ist das Eigentumsrecht an der Sache strittig.
Die Aufgabe des Vermittlers, als der St. Ives angeworben ist, ist es, das Diebesgut gegen Lösegeld auszutauschen, so dass es keinen direkten Kontakt zwischen den Parteien gibt. Soweit so gut. Der Deal scheint halbwegs voran zu gehen, bis dann die Situation eskaliert und eine Reihe von Leichen auftaucht, alles Leute, die irgendwie mit dem Schwert Ludwig des Heiligen, um das es sich hierbei (angeblich) handelt, zu tun haben.
Spätestens bei diesem Schwert, das angeblich in einem Londoner Trödel aufgetaucht ist, nachdem es Jahrhunderte verschollen war, sollten Leser aufmerksam werden, droht hier doch der Rückfall in die phantastische Kolportage, wie sie etwa in den Indiana Jones-Filmen bis heute überlebt hat. Irgendwie scheint die Suche nach einem verlorenen Schatz, hier in der Fassung des unvermutet bereits gefundenen und dann unglücklich verlorenen, die Fantasie immer noch anzuregen und für Aufmerksamkeit zu sorgen. Obwohl der Blödsinn-Quotient in solchen Sachen unerhört hoch ist.
Aber Ross Thomas weiß sogar mit einem solchen Stoff umzugehen, angemessen sowieso, wie spätestens das Ende zeigt, bei dem das schöne alte Schwert, das angeblich auch noch für den Staat Frankreich einen unerhörten Wert besitzt, vielleicht und beinahe endgültig verloren geht. Es sei denn, es taucht irgendwann und unverhofft wieder in einem Londoner Trödel auf. Du es sei denn, dass es dieses Schwert überhaupt wirklich gibt.
Da macht es sogar eher Sinn, sein Geld mit Poker zu verdienen, was St. Ives gleichfalls im Laufe des Romans mit gutem Erfolg versucht – und woher der neue Titel wohl seine Legitimation bezieht.
Naheliegend ist das Ganze als Kammerspiel angelegt. Jeder kennt hier irgendwie jeden. Die Welt ist klein im kriminellen Milieu des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Und Thomas inszeniert das sich immer mehr steigernde Gemetzel in dieser kleinen Welt mit einer Bravour, die es in sich hat. Chapeau, auch nachträglich.
Ross Thomas: Zu hoch gepokert. Ein Philip-St. Ives-Fall. Aus dem amerikanischen Englisch von Gisbert Haefs. Alexander Verlag, Berlin 2023.