Krimihitliste 2010 (in order of appearance)

5. Januar 2011

Don Winslow: Frankie Machine (Suhrkamp)
Jim Nisbet: Dunkler Gefährte (Pulp Master)
Angelo Petrella: Nazi Paradise (Pulp Master)
Max Allan Collins: Der letzte Quarry (Rotbuch)
Heinrich Steinfest: Gewitter über Pluto (Piper)
Roger Smith: Blutiges Erwachen (Klett-Cotta/Tropen)
Jean Amila: Die Abreibung (Conte krimi)
Ole Steinhauer: Der Tourist (Heyne)
Adrian McKinty: Der sichere Tod (Suhrkamp)
Dominique Manotti: Letzte Schicht (Argument)
Richard Price: Cash (S. Fischer)
Malla Nunn: Ein schöner Ort zu sterben (Rütten&Loenning)
Christopher Cook: Robbers (Heyne)
Jenny Siler: Verschärftes Gehör (Fischer TB)
Don Winslow: Tage der Toten (Suhrkamp)

Die Spitzenreiter: Don Winslow: Tage der Toten und Richard Price: Cash


Ordnung stiften

1. Januar 2011

Eine schöne Aufgabe, zeitweise mindestens. Gutes Gelingen dabei!
Das Motiv wurde nach eine Fotografie des Kölner Fotografen AUgust Kreyenkamp (1875-1950) vom Hamburger Grafiker Jörg Weusthoff gestaltet.

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Radikal als Eigenwert

4. Dezember 2010

Slavoj Zizek hat in Le monde diplomatique (November 2010) einen Aufruf zur Radikalität veröffentlicht, in dem  er unter anderem die Gewalt betont, die der staatliche Apparat durch seine Existenz ausübt. Dagegen sei Gegenwehr notwendig und legitim. 
Das mag man akzeptieren, freilich ist diese Verbindung von staatlichen Institutionen und Gewalt nicht frei von mystifizierenden Elementen. Wie auch deren Gegenteil, von dem Zizek merkwürdig unscharf spricht. 
In der Tat mag eine Linke derzeit nicht wissen was zu tun ist, aber zu wissen, dass gehandelt werden muss, will sie sich nicht unkontrollierbaren Gewalten unterwerfen. Aber daraus Radikalität abzuleiten, statt Genauigkeit, ist für eine Gesellschaft insgesamt zu wenig. Wer sich darauf einlässt, geht ein Risiko ein, das nicht nur ihn selbst betrifft, sondern die Gesellschaft insgesamt. Und nichts für ungut: die Zähmung des Kapitalismus mag angsichts des Reichs der Freiheit ungenügend erscheinen, und wird auch schwierig genug sein. Aber trotzdem, es gibt kein Jenseits der Gesellschaft, und wer sie insgesamt zur Disposition stellt, weil sie eben einem absoluten Maß nicht entsprechen kann, der handelt blind und (ja ok, wenig spanndend) verantwortungslos, weil nicht auf eigene Kosten. 
Das spricht nicht gegen die Kritik und gegen Gegenwehr, aber Lacan ist meines Erachtens ein schlechter Ratgeber, was die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaft angeht.


Das Böse in der Literatur

11. Oktober 2010

Karl Heinz Bohrer Band „Imaginationen des Bösen. Zur Begründung einer ästhetischen Kategorie“ (München, Wien 2004) ist, zu seinen Lasten, zusammengestellt aus Aufsätzen und Buchauzügen, denen man leider anschaut, woher sie kommen und wie mühsam sie sich beim gemeinsamen Thema tun: das Böse, der Schrecken, das Hässliche. 

Aber seis drum, dennoch ist seine These aufschlussreich: Das Böse als ästhetische Kategorie ist keine Metapher, kein Symbol, sondern selbstreferentiell. Dem kann man folgen, muss man aber nicht, denn wie in der Bildenden Kunst mag zwar das Literarische interessanter sein als das Thematische, das Thema bleibt dennoch Ausgangspunkt auch des Interesses (nicht nur des Interessanten). Der außerliterarische Bezug bleibt erhalten, nicht zuletzt, damit der Text seine Erkennbarkeit behält.

Hinzu kommt noch, dass Bohrer zwar den ästhetischen Status des Bösen anhand der Positionen von Hegel und Schlegel diskutiert, aber deren gesellschaftliche Funktion nicht wahrnehmen will: Das Interessante ist unter anderem deshalb eine gesellschaftlich relevante Kategorie, weil es die Hierarchien der Bestimmungen unterläuft und suspendiert. Hegel weist sie ab, weil er an der Sistierung von Entwicklung interessiert ist, Schlegel folgt ihr, weil er den offenen Horizont des Interessanten sieht, der mit einer hierarchischen Gesellschaftsstruktur nicht zu vereinbaren ist. Zumal dann nicht, wenn sie selbst wieder zur Disposition steht.

Aufschlussreich die enge Bindung des Ethischen mit dem Ästhetischen, die Bohrer bis in die Gegenwart sieht, gerade auch in der Diskussion von Moderne und Postmoderne.

Inakzeptabel hingegen ist seine Fokussierung auf die Literatur, auf die es ankomme. Wenns hier um Diskurshoheit geht – die ist geschenkt.


Re-Moralisierung der Kunstkritik?

26. September 2010

In der FAZ vom 24.9. bespricht Swantje Kranich zwei Ausstellungen des Frankfurter Museums für Moderne Kunst. In der einen werden die Bestände der Fotografie-Sammlung gezeigt, die andere widmet sich dem Verhältnis von Fotografie und Mode in den 1990ern.

Erstaunlich an dem Text ist seine Fixierung auf die angeblichen oder tatsächlichen pornografischen Exempel der Bestands-Ausstellung, auf Arbeiten von Jock Sturges und Nobuyoshi Araki. Der erstere mit Fotografien von nackten, teils erotisch posierenden Mädchen an der Schwelle zur Pubertät, der andere mit Bondage-Inszenierungen. Pornografie ist das Etikett.

Keine Frage, beide Motivarsenale sind sexuell, vielleicht sogar pornografisch ausgezeichnet. Karich reagiert offensichtlich darauf mit Abscheu („schwer erträglich“ im Falle Sturges‘, lediglich „interessant“ im Falle Arakis). Das kann man verstehen (und wer als Intention solcher Fotos die Präsentation natürlicher Schönheit und Zerbrechlichkeit annimmt, nimmt nur eine andere Umleitung, auch wenns der Fotograf selbst anbietet) – aber merkwürdiger Weise soll das ein Argument der Kritik sein? 

Der Kurator der Bestands-Ausstellung habe, so Karich, passiv reagiert und auf die kritische Kompetenz seiner Besucher verwiesen (was ja auch nur e i n e Möglichkeit ist, mit dem Genre umzugehen). Karich hält das anscheinend für falsch – diese Haltung und die Fokussierung der Ausstellung. Karich plädiert statt dessen für eine andere Ausrichtung, etwa auf realistische Fotografien aus dem Alltag Neapels, wie sie Tobias Tielony vorgelegt habe.

Interessant daran, ist verschiedenes 
– dass soziale Fotografie gegen Aktfotografie aufgestellt wird, 
– dass die Motive oder Inszenierungen die Haltung der Kritik bestimmen
– dass die Provokation durch sexualisierte Motive immer noch funktioniert
– dass dabei die unentschiedene Haltung, die alles erlaubt, aufgegeben wird
– dass Kunst damit aus ihrem Rückzugsraum geholt wird, was ihr vielleicht auch gut tut
– dass die Rezeptionsstränge in zugelassene und unterdrückte differenziert werden.

Das lässt weit reichende Interpretationen zu, insbesondere was die Entwicklung der Wahrnehmungskultur angeht. Zweifelsohne wird mit der Neuordnung von Wahrnehmung zwar Verhalten auf den ersten Blick wieder leichter steuerbar, für die Gesellschaft wie für die Einzelnen. Zugleich werden mit der scharfen Trennung zwischen dem Zugelassenen und Ausgeschlossenen (resp. deren Neujustierung, denn keine Gesellschaft kann alles zulassen) die Probleme der geschlossenen Gesellschaft wieder auftauchen. Und sie werden nicht nur von den Rändern der Gesellschaft her initiiert werden, sondern aus ihr selbst heraus entstehen. 

Moral ist ein wichtiger Leitfaden individuellen und gesellschaftlichen Handelns, sie ist aus dem politischen und auch kulturellen Leben nicht wegzudenken. Aber sie ist ebensowenig sistierbar wie alle anderen sozialen Phänomene.