Blochs Prinzip Hoffnung

9. Januar 2010

Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ ist ein anachronistischer Text, allerdings weniger wegen seiner Stillage (die ist Geschmacksache), sondern mehr wegen seines rettungslosen Optimismus. Das lässt sich bereits in den Absätzen zu Beginn erkennen:
„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen, kann gar nicht genug von dem wissen, was sie inwendig gezielt macht, was ihnen auswendig verbündet sein mag.“
Allerdings sind Anachronismen gelegentlich hilfreich und angemessen.


Turning an ascending stairs

1. Januar 2010

Der Fotograf Eadweard Muybridge hat im Jahr 1887 gezeigt, was es heißt fortzuschreiten: Es ist eine langsame Bewegung, die möglicherweise, aber nicht notwendig nach oben führt.

mehr » pdf 


Diktatur des Proletariats?

7. Dezember 2009

Slavoj Žižek hat in „Auf verlorenem Posten“ beredt eine neue „Diktatur des Proletariats“ als notwendig begründet, dabei das Proletariat als Allgemeinheit („wir alle“) bestimmt und Diktatur als formale Möglichkeit, dass diese Allgemeinheit ihre Interessen gegen die Partikularnteressen durchsetzen kann.
Das steht gegen jenes Konzept, das von Kant bis Brecht erkennbar ist, dass nämlich aus der Verhandlung der Partikularinteressen das Allgemeininteresse entstehen kann und durchgesetzt wird. Dass Žižek den repräsentativen Demokratien wohl begründetes Misstrauen antgegen bringt, ist nachvollziehbar, allerdings ist das Konzept der „Diktatur des Proletariats“ nicht grundlos von Stalin missverstanden worden, und einem Missbrauch ist ohne institutionelle Kontrolleure kaum gegenzusteuern. 
Anders gewendet: Das „Proletariat“ tut gut daran, sich selbst zu kontrollieren, sich einem ständigen Reflexionsprozess zu unterziehen, dabei aber zugleich immer wieder gegen die instutionellen Grenzen aufzubegehren. Die Perpetuierung der Unruhe als Prinzip ist hingegen nicht lebensfähig, es bedient die Einzelnen nicht, es bestätigt und belohnt sie nicht – und bei aller Faszination, die von kollektiven Prozessen ausgeht, diese handlungsökonomische Seite ignoriert Žižek merkwürdiger Weise. 
Eine intellektuelle Havarie, die nur wirklich intelligenten Leuten widerfährt. 
Slavoj Žižek: Auf verlorenem Posten. Aus dem Englischen von Frank Born. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009.


Ich kann jeder sagen? Immerhin

28. November 2009

Robert Menasses Erzählungenband „Ich kann jeder sagen“: In die Hand nehmen, anlesen, wieder weglegen, weil es Freude macht, ihn wieder in die Hand zu nehmen und anzulesen. Anders als die dicken Bücher, die man nicht mehr weglegt, weil sie so fesselnd sind, ist das ein Buch, das begleiten kann, hierhin, dorthin, um einen Blick hineinzuwerfen, ein paar Zeilen zu lesen, die vor allem eines tun, erfreuen. 
In jüngster Zeit tauchen Autorinnen und Autoren auf (längst bekannte), deren Erzählungen atemberaubend schön sind: Kehlmann, Hermann und nun auch Menasse. Das ist ein freudiges Ereignis.


Blochnotizen

15. November 2009

Thomas Assheuer hat am 5. November in der Zeit darauf verwiesen, dass Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ vor fünfzig Jahren erschienen ist. Das freut, auch wenn Assheuer konstatiert, dass wir heute so – wie Bloch – nicht mehr denken könnten, selbst wenn wir wollten. Aber Assheuer nimmt, nach langem Anlauf, schließlich doch die sich bereits in solchen Sätzen ankündigende Volte, wenn er im Schlussabsatz von der Freiheit spricht, die sein lassen könne, von der Klugheit einer Gesellschaft, die sich in ihrem Umgang mit der Natur zeige, und von einer gesellschaftlichen Konstitution, in der jeder Mensch das Recht habe, Rechte zu haben. 
Bereits 2007 hat Ralf Becker bei Suhrkamp die Feuilletons herausgegeben, die Ernst Bloch in der Frankfurter Zeitung zwischen 1916 und 1934 publiziert hat. Eine Sammlung schöner Texte, die Becker (für einen Philosophen) unprätentiös einleitet. Um zwei Polen kreisten die Texte, bemerkt Becker, um das „Dunkle des gelebten Augenblicks“ und um die „unkonstruierbare Frage“, was denn der Mensch sei (unkonstruierbar sei sie, habe Bloch gemeint, weil sie jeder Theoriekonstruktion vorangehe). Das findet sich nicht zuletzt in solch unnachahmlichen Sentenzen wie „Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst“, die den „Spuren“ vorangestellt sind. Dafür haben wir Bloch geliebt, und für seine intellektuellen Volten, die noch im kleinsten und unscheinbarsten Phänomen noch jenen Moment findet, der über die einigermaßen fade Alltäglichkeit der Existenz hinausweist. Der hohe Ton mindestens macht es möglich.
Gelegentlich also wieder einmal Bloch lesen.
Gerne.
Am Schluss aber doch ein bisschen Meckerei zu Beckers Ausgabe: Die bibiografischen Angaben zur Publikation in der Frankfurter Zeitung gehören zu den jeweiligen Texten nicht in den Anhang. Dass Becker in den Fußnoten mit a.a.O. auf frühere Belege verweist, mag zwar als eine Art ziviler Ungehorsam gegen das Diktat des Nützlichen an den Hochschulen gedacht sein (gegen die sich bereits Bloch verwandt habe, wie eines der Feuilletons kommentiert wird), freundlich ist das aber nicht. Was sich im Einzelnen zudem hinter der behutsamen Vereinheitlichung der Rechtschreibung verbirgt (nach dem Duden 1986), will man gar nicht wissen und hofft, diesmal auf die Klugheit Beckers. Die Normalisierung der Schreibweise von Fascismus, die zeittypisch ist, zu Faschismus ist aber kein gutes Beispiel.