Simulation

13. Dezember 2016

Auch in den avancierten literarischen Genres finden sich Konventionen und Muster, die es eben auch einfacher machen nachzuvollziehen, was hier und wie geschieht. Das dient der Orientierung, gegen die nichts gesagt sein soll, aber auch der Simulation: Böse gesagt: Ein Pianist, der das Haupt dramatisch im Takt wirft, während er heftig in die Tasten greift, zeigt an, dass er ernsthafte Kunst macht. Ein Autor, der Textteile montiert, die nicht zusammenzugehören scheinen, gibt zu verstehen, dass er zur Avantgarde der Avantgarde gehört. Ein Rockmusiker, der ein lottherhaftes Leben führt (was immer das dann auch ist) und eine zerrüttete Gesundheit sein eigen zählt, tut das Richtige. Unerhört! Aber auch nicht zu vermeiden.  


Männlicher Ekel – männlicher Humor

24. November 2016

Michel Houellebecqs Dankesrede für die Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises wurde, wie nicht anders zu erwarten, in der Frankfurter Allgemeinen (27.9.2016) veröffentlicht. Die Rede, die am Tag danach in der FAZ als die eines Schriftstellers und nicht die eines Intellektuellen klassifiziert wurde – als ob man einem Schriftsteller jeden Unsinn nachsehen könne, einem Intellektuellen aber immerhin hinreichende Redlichkeit unterstellen müsse -, ist unerhört amüsant zu lesen. 

Dass sich Houellebecq zuerst als Verfolgter stilisiert, mag man hinnehmen – allerdings wird er dabei etwas langatmig. Dass er sich in seiner Verdammung der Massengesellschaft nun gerade auf Tocqueville beruft, ist aber interessant. Wenn man sich darin gefällt, die chaotisch gewalttätigen Phasen der Französischen Revolution als „männlich“ zu beschreiben, während die „westliche Welt“ ermüdet, wehleidig und ängstlich sei, für den ist Tocqueville wohl die richtige Autorität. Allerdings bleibt festzuhalten, dass diese ermüdete, wehleidige, ängstliche westliche Welt seit dem frühen 19. Jahrhundert (also seit dem Diktum Tocquevilles) den Globus politisch recht heftig dominiert und sein Wirtschaftssystem massiv durchgesetzt hat. 

Richtig lustig wird es, wenn er sich als Exempel für den Niedergang der freien Gesellschaft nun gerade die drohende Bestrafung des Freiers beim käuflichen Sex herauspickt. Houellebecqs Argumentationskette ist hierbei sehenswert: Bestrafung des Freiers gleich Abschaffung der Prostitution gleich Abschaffung des Korrekivs der Ehe gleich Abschaffung der Ehe gleich Selbstmord der europäischen Gesellschaften. Wenn dem so ist, dann solls dann so sein. Aber immerhin muss man auf soi etwas erst einmal kommen.

Und wenn das dann alles „männlich“ ist, dann ist es keine schlechte Idee, wenn dieses müde, wehleidige, ängstliche westliche System dann auch die Männlichkeit schnell abschafft, zumindest solche Männlichkeit. Dass das so schnell nicht geschehen wird, ist leider die ziemlich unamüsante Seite des Ganzen.


Leitkultur? Gemeinsame Kultur?

20. November 2016

Das Thema Leitkultur, also eine Kultur, die für die Bundesrepublik prägend und hinreichend verbindlich ist, wird ja bereits eine Weile durchs politische Dorf getrieben. Vor mehr als einem Jahr hat die FAZ dazu einen Text des Berliner Historikers Baberowski publiziert, in dem unter anderem von Überlieferungsgemeinschaft geschrieben wurde (der aber per se niemand angehört, siehe Note vom 30. September 2016: Einwanderung in der aufgeklärten Gesellschaft). Jens Jessen hat in einem Essay in der ZEIT vom 22. September 2016 mit Bezug auf das Parteiprogramm der AfD die Sprengkraft beschrieben, die einer Forderung nach einer verbindlichen Leitkultur innewohnt. 

In der zitierten Passage des Parteiprogramms werde die Ideologie des Multikulturalismus verworfen, stattdessen eine verbindliche Leitkultur eingefordert, die „deutsche kulturelle Identität“ müsse von Staat und Zivilgesellschaft „selbstbewusst verteidigt“ werden. Das kann man sich ganz lustig vorstellen, aber damit ist es nicht getan, auch wenn sogar ein sehr selbstbewusster Staat wie der des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1945 an der Anforderung gescheitert ist, „die deutsche kulturelle Identität selbstbewusst zu verteidigen“. Irgendwie schafft es dieses blöde Multikulti immer wieder, sich in den Ritzen der Leitkultur einzunisten und – bei entsprechenden Temperaturen- das Ganze auch noch aufzusprengen. 

Jessen weist zurecht darauf hin, dass es so etwas wie eine kulurelle Identität nicht gibt. Sie ist bestenfalls als abstraktes Konstrukt denkbar und in jedem Fall das Produkt eines jahrzehnte- und jahrhundertelangen Integrationsprozesses von allen möglichen externen Einflüssen und Zuwanderungen und internen Ausdifferenzierungsprozessen. Da ist einem mit dem Habermasschen Modell des Verfassungspatriotismus besser gedient. 

Die Auseinandersetzung mit der Leitkultur wird also in großem Maße darum gehen, die Zumutungen einer verordneten kulturellen Identität abzuweisen. Statt dessen gilt es ein kulturelles Modell zu verteidigen, in dem jeder nach seiner Facon glücklich werden kann, solange er nicht andere Zumutungen unterwirft, die nicht zulässig sind. Etwa die einer kulturellen Identität, die nicht geteilt wird. 


Auswendiglernen?

15. November 2016

Die Autorin Olga Martynova hat in einem Artikel in der FAZ vom 8. November 2016 dafür plädiert, dass die Menschen mehr Gedichte auswendig lernen. Das helfe zwar bei den meisten Problemen nicht (Friede in der Welt, Krieg, Hassreden, Dummheit etc.), nicht einmal dabei, Gedichte besser zu verstehen (sie redet allerdings immer nur von „analysieren“, womit Lehrer Schüler traktierten, meistens mit dem falschen Ergebnis), sondern einfach nur so, wegen der Sprache (weshalb?), wegen des Wortschatzes (wieso nun der gerade?), wegen der Forderung des Gedächtnisses (dessen Unterforderung katastrophale Konsequenzen habe) und überhaupt. Leute mit besserem Gedächtnis können zum Beispiel, schreibt sie, Formulare besser ausfüllen. Wenn Gedichte auswendig lernen diesen Effekt hat, dann wird man das wohl wieder einführen müssen. Nicht weil man sie besser verstehen will. Das geht ja anscheinend eh nicht. Wozu auch? Damit man jeden Unsinn erkennt, den jemand im Namen und auf Rechnugn der Lyrik niederschreibt?


Unpoetische Zeiten

5. Oktober 2016

Schlechte Zeit für Lyrik. Und welche absurde Debatten heute: In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Lettre“ findet sich ein Essay des 1996 verstorbenen griechischen Dichters Odysseas Elytis‘ über verschwundene Empfindsamkeit in der Gegenwart, die er mit einer Klage über die Zunahme von Bildung und Wissen verbindet. All das verschütte das Vermögen sich zu wundern und vor sprachlichen Bildern erstaunt stehen zu bleiben, gar von den Rätseln des Lebens zu verweilen. Brillenträger, die Anordnungen erlassen. Grobschlächtigkeit des Wissenserwerbs. Man muss sich schon wundern, wozu sich ein Dichter herablässt, damit klar wird, was er Besonderes ist.

Wohin uns das führt? Zurück ins Wunderland der Poesie? Wohl nicht. Stattdessen sind Essays wie der des griechischen Literaturnobelpreisträgers eher dem Eingeständnis geschuldet, dass die schöne Literatur, die Lyrik, die Poesie an Bedeutung immer mehr verliert – unaufhaltsam. Damit mag man sich in den kleinen Zirkeln, die dann noch übrig bleiben, wohlfühlen – immer den Rest der Welt gegen sich. Und als Mitglied einer verschwindenden Art mit besonders schönen Alleinstellungsmerkmalen versehen geht es sich wohl ganz besonders schön unter. 

Aber die Ursache dafür liegt nicht bei der Bildung, bei den Brillenträgern, bei der Ökonomie, beim Kapitalismus und der Moderne, und auch nicht bei der Mehrheit, die sich einzurichten versucht, sondern bei den Repräsentanten der Poesie selbst. Weil sie die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft scheuen, in der sie leben, weil sie sich missachtet sehen, schließen sie sich aus und ein, in der Empfindsamkeit, im Sprachgefühl, in der Form.