Martensteins Kurzschluss

21. April 2017

In einem der letzten Zeitmagazine kam Harald Martenstein zu dem Schluss, dass er mit dem Wertverlust seines Angesparten, der auf die Geldpolitik der EZB zurückgeht, das schlechte Wirtschaften in Griechenland finanziere. Das mag nicht einmal falsch sein, allerdings fehlt in der Argumentation leider auch, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik auch das Wirtschaften von jedem fördert, der billiges Geld bekommt, etwa der Bundesrepublik, jedes Unternehmens oder jedes Hauskäufers in der Bundesrepublik. Ob einer der Genannten mit dem Geld gut oder schlecht wirtschaftet, ist aber erst einmal egal. Jeder von ihnen bekommt (potentiell) billiges Geld. Was vielleicht den Blick darauf richtet, dass zwar billiges Geld schlecht für Gespartes ist, aber gut fürs Arbeiten. Man könnte sich vielleicht doch erst einmal anschaun, ob dabei die Griechen so schlecht abschneiden? Und man sollte sich fragen, ob der Wertverlust des Geldes alle positiven Effekte der Geldpolitik schlägt. Ich glaube nicht.


„Die“ wissenschaftliche Methode

18. April 2017

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 16. April 2017 findet sich ein Interview mit dem „Evolutionsbiologen Michael Jennions“, der anscheinend derzeit Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin ist. Er forscht, wie dem Kastentext zu entnehmen ist, unter anderem zum Zahlenverhältnis der Geschlechter.

In diesem Interview betont Jennions zwar, dass die Ergebnisse biologischer Forschung zum Verhältnis der Geschlechter zueinander nicht einfach auf den Menschen übertragen werden können. dennoch findet sich das Beispiel der Winkerkrabben, deren Männchen anscheinend mit ihren Scheren winken, um auf Weibchen attraktiv zu wirken. Größere Scheren und den anderen etwas voraus scheint besonders sexy zu sein. Das Pendant beim Menschen: die Größe des Penis und die Figur des Mannes. Einem Versuch zufolge, den Jennions mit Penisschablonen durchgeführt hat, spiele die Größe  tatsächlich „eine Rolle“. Anzunehmen bei der Attraktivität. Außerdem fänden Frauen Männer mit einer „V-Figur attraktiv“.

Das alles, nachdem zuvor heftig auf populäre Magazine geschmipft worden ist, die Schindluder mit Halbwahrheiten trieben.

Leider findet sich kein Hinweis darauf, inwiefern die Tests daraufhin geprüft worden sind, ob etwa die Testsituation selbst oder kulturelle Codes Einfluss auf deren Ergebnisse gehabt haben. Oder ob etwa die gestellte Frage (wie auch immer sie gestellt wurde) das Ergebnis präfiguriert hat. 

Man möge analog Männern in Westeuropa die Frage stellen, ob sie vollbusige blonde Frauen attraktiver finden als schmalbusige brünette. Das Ergebnis – frei nach Schopenhauer – wird wohl ein mehrheitliches „Ja“ zu blond sein. Ob sich dieses Ergebnis bei der Wahl der Partner wiederfindet, bleibt unbeantwortet, wohl auch ungefragt. Dies allerdings, ohne den Versuchsaufbau im Detail zu kennen. Aber immerhin prescht ja Jennions mit solchen Ergebnissen nach vorn.

Das Ganze dann auch noch mit dem Satz zu verkaufen, dass „die wissenschaftliche Methode“ darin bestehe, „die Welt auf Basis gesammelter Informationen und Daten zu begreifen“, zeugt von der ungeheuren Reflexionsbereitschaft des Evolutionsbiologen Jennions. Entweder lässt er angesichts des Zeitungsinterviews alle reflexionsbedingten Hemmnisse fahren oder er hatte nie welche. 

Es gibt nicht „die“ wissenschaftliche Methode, und die Reflexion eines Versuchsaufbaus ist nicht minder relevant wie die Reflexion der eigenen Position. Kein Wunder, dass Judith Butler keinen guten Eindruck von der Biologie und Medizin hat. Kann man auch nicht, nach solch einem Interview.


Lückenfüller

22. März 2017

Ein trostloser Effekt der Antragsprosa und Begründungsnotstände in der Wissenschaft ist die Rede vom Forschungsdesiderat. Da es ohne weiteres nachvollziehbar ist, dass niemand Geld, auch Fördergelder, ausgeben will, wenn es denn nicht notwendig ist, wird die Forschungslücke von Geldgebern gern gesehen und von Geldbeziehern zwingend angegeben. Das führt allerdings dazu, dass die Lücke immer dort vorhanden ist, wo es ein Projekt gibt. So wie in der Ökonomie jeder irgendwie und in irgendeinem Bereich Weltmarktführer ist – er muss nur speziell und klein genug sein – so lassen sich überall Forschungslücken finden, die dringend im Namen des Wissens der Menschheit geschlossen werden müssen.

Im Vergleich dazu ist die persönliche Neugierde, das persönliche Interesse von deutlich geringerem Rang. Was jemanden interessiert, muss deshalb noch lange nicht notwendig und damit förderwürdig werden.

Einer freien Wissenschaft würde es im Unterschied dazu gut tun, wenn sie ihre Gegenstände nach Interesse und Neugierde wählte und nicht nach Förderwürdigkeit. Und wenn das nicht zu erreichen ist, dann sollte in der Publikation selber die desiderative Rede einfach fallen gelassen werden. Wir müssen ein Buch nur lesen oder vielleicht nutzen, nicht fördern.


Kurz oder lang?

11. Januar 2017

Im postfaktischen Zeitalter sind hinreichend ausgearbeitete Reflexionen der Begründung umfangreicher Parallelwelten kaum förderlich. Weshalb ihr Aufmerksamkeitswert gegen Null geht. Eine Behauptung kann sich kurz fassen (eine Lüge auch, gerade sie sollte nicht schwatzhaft sein, damit man ihrer nicht habhaft werden kann und sie sich nicht selbst entdeckt). Eine Überlegung kann das nicht. Es hat sich also viel geändert, dass eine Beschreibung der Welt in vier Sätzen eine größere Attraktivität haben sollte als dreißig Seiten Essay. 

Es ist unzweifelhaft, dass das Denken, soweit es sich Mühe gibt, den größeren Text braucht, und dass komplexe Verhältnisse eine adäquate Form brauchen, wenn man über sie nachdenkt, und die sollte mehr als 140 Zeichen umfassen dürfen. Nicht dass sich daraus zweifelsfrei ergeben würde, dass das jeweilige Ergebnis gelungen sein und auch gelesen werden muss. Mehr noch, dass es einen Ort gibt, der das auch noch gedruckt zur Verfügung stellt. Auch garantiert Schwatzhaftigkeit nicht Belastbarkeit. Der Umkehrschkuss ist also nicht zulässig. Aber dem intellektuellen Leben scheinen die Gelegenheiten doch nicht auszugehen. Dafür ist zu schreiben und zu denken.


Krimihitliste persönlich – samt Besprechungen

5. Januar 2017

Ins Herz der Finsternis. Heinz Strunk reist mit „Der goldene Handschuh“ in die Welt eines Hamburger Serienmörders. Eine Gegend, in die man nicht will. Rezension zu: Heinz Strunk: der goldene Handschuh. Roman. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2016. In: fixpoetry.com 3/2016

Paradigmen: Christoph Peters hat einen ungemein stringent konstruierten und durchdachten Krimi geschrieben. Chapeau. Rezension zu: Christoph Peters: Der Arm des Kraken. Roman. Luchterhand, München 2015. In: literaturkritik.de 2/2016 

Ganz unten. Daniel Woodrell hat mit „Tomatenrot“ eine Studie darüber geschrieben, warum die, die unten sind, unten bleiben. Rezension zu: Daniel Woodrell: Tomatenrot. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind, München 2016 In: literaturkritik.de 3/2016 

Am Abgrund. James Ellroy zeichnet in „Perfidia“ ein ernüchterndes Bild von der Polizeiwelt der USA: eine Macht- und Geldgeile Gesellschaft, für die Mord nur die Demonstration ihrer Willkürherrschaft ist. Rezension zu: James Ellroy: Perfidia. Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree. Ullstein, Berlin 2015. In: literaturkritik.de 2/2016 

Supergirl vs. Bushido. Andreas Pflüger packt in „Endgültig“ alles, was in einen phantastischen Thriller gehört. Rezension zu: Andreas Pflüger: Endgültig. Thriller. Suhrkamp, Berlin 2016. In: literaturkritik.de 6/2016 

Schlamassel. James Lee Burke über ein ziemliches Durcheinander und einige scheußliche Wiedergänger, mit einem Wort: „Mississippi Jam“. Rezension zu: James Lee Burke: Mississippi Jam. Ein Dave-Robicheaux-Krmi. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger Pendragon, Bielefeld 2016. In: literaturkritik.de 8/2016 

Mord und Profit. Dominique Manottis fulminante Studie über die Revolution des Ölhandels zu Beginn der 1970er Jahre und die Anfänge des Kunsthandels: „Schwarzes Gold“. Rezension: Dominique Manotti: Schwarzes Gold. Aus dem Französischen von Iris Konopik. Ariadne/Argument, Hamburg 2016 In: literaturkritik.de 9/2016

Drunken Sailor. Ein bedrückend beeindruckender kleiner Roman um einen Trinker mit gespaltenem Haupt: Ottessa Mashfeghs „McGlue“. Rezension zu: Ottessa Mosfegh: McGlue. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Liebeskind, München 2016. In: fixpoerty 1/2017