Hummer

14. Februar 2018

In der FAS vom 11.2.2018 findet sich ein Artikel von Carolin Wiedemann über den kanadischen Psychologen Jordan Peterson, der sich anscheinend die Machterhaltung weißer Männer aufs Panier geschrieben hat. 

Im Laufe des Beitrags geht Wiedemann auf eine auffallende Argumentation Petersons ein, der nämlich die Suprematie des Mannes von der regelmäßigen Überlegenheit von Männchen im Tierreich ableitet. Wie der „weiße“ Mann dabei ins Spiel kommt, ist zwar rätselhaft, wundert aber nicht, weil Kind und Bad nun mal gleich behandelt werden. 

Das Schöne am Hummervergleich ist nun, dass Peterson anscheinend Analogien zwischen Hummer und Mensch sieht und empfiehlt, man möge sich doch den Hummer und seine „350 Millionen Jahren an praktischer Weisheit“ zum Vorbild nehmen. 

Nun kann man sich schon fragen, worin die soziale Umwelt des Hummers der des Menschen gleicht: Man stelle sich zum Beispiel vor, dass der Hummermann der Hummerfrau zu verstehen gibt, sie möge sich doch auf ihre Rolle als Hausweibchen beschränken. Und wir sehen dann, wie das Hummerweibchen dem Hummerrmännchen das Bierchen zum Feierabend reicht. Das ist selbstverständlich Polemik, aber wesentlich mehr fällt einem dazu nicht ein. 

Außer, dass man sich doch an die großen Vorbilder solcher Analogiebilder wenden mögen, wie etwa den Dr. Moebius, der die intellektuelle Unterlegenheit von Frauen medizinisch sehr gediegen begründete. Liest man Moebius, dann versteht man, warum Judith Butler dem medizinischen Diskurs so skeptisch gegenüber steht. Adolf Heilborn – ein Mediziner und Publizist, den man heute kaum noch kennt – hat in seiner populärwissenschaftlichen kleinen Übersicht Mitte der 1920er Jahre immerhin schon konzediert, dass die körperlichen und intellektuellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern wohl angezüchtet sind. Und auch wenn man die Geduld nicht aufbringen muss, die Heilborn im selben Zug empfiehlt, nagt ein solches Argiment doch an der natürlichen Ungleichheit der Geschlechter, was schließlich vor allem Rechte und Pflichten angeht. 

Aber zurück zum Hummer: Wenn wir akzeptieren, dass die soziale Welt von Menschen heute anders gebaut ist als die von Hummern in den letzten 350 Milllionen Jahren, dann lässt sich schon begründen, dass auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander anders organisiert werden kann. Und das aus gutem – darwinistischem – Grund: Die soziale Welt egalitär zu organisieren, macht komplexe Gesellschaften nämlich wahrscheinlich überlebensfähiger. Es ist nämlich nicht anzunehmen, dass sie besser funktionieren, wenn weibliche Ressourcen auf Kinder, Küche, Kirche (streichen und ersetzen,was behagt) reduziert werden und sich stattdessen Gesellschaften auf die aggressiven „männlichen“ Kompetenzen beschränken sollen. Davon abgesehen, dass komplexe Gesellschaften kaum top down organisiert werden können. 

Dass Gesellschaften als Entitäten, was das angeht, nicht dumm sind, zeigt sich in den industrialisierten Ländern, in denen Hierarchien – auch der Geschlechter – in den letzten 200 Jahren zusehends abgelöst und zerstört worden sind. Man darf dabei an eine Schrift von Uwe Wesel erinnern (Der Mythos vom Matriarchat, 1980 als Suhrkamp-TB erschienen), in der er sogar die histrische Dignität von geschlechtsspezifischen Hierarchien einräumt (zumindest hinnimmt), aber zugleich darauf verweist, dass es heute möglich und vor allem sinnvoll ist, menschliche Gesellschaften anders zu organisieren.


Neue Heimat und Kulturrhetorik

8. Januar 2018

Neue Untergänge aus dem Braunkohleland: Nach dem Haus Paland in Borschemich wird nun auch die Pfarrkirche in Immerath im Rahmen des Ausbaus des Braunkohletagebaus abgerissen. „‚Kohle-Taliban‘ schleifen Kirche“ textet der TAZ-Berichterstatter  Manfred Kriener in seinem Artikel, der am 5. Januar 2018 in der Rubrik „Wirtschaft + Umwelt“ erschien. Zu seinen Gunsten muss man freilich bemerken, dass der Taliban-Spruch nicht von Kriener selbst stammt. Was das Ganze aber kaum besser macht.

Aber noch einen Schritt zurück: Borschemich? Immerath? Kaum jemand außerhalb des Kreises Heinsberg, der sich als westlichster Kreis der Bundesrepublik vermarktet, wird je von diesen Orten gehört haben. Und jetzt sind beide Orte symbolbeladene Träger des Widerstands gegen eine veraltete, kapitalistisch und hoheitlich verfügte Energiepolitik? Wenn da nicht die Gelegenheit Diebe macht, bei den Bürgerinitiativen vor Ort und eben bei der TAZ, die sich ihnen und ihren Lesern anbiedert.

Lassen wir die Frage alte oder neue Energien beiseite, und bleiben wir einen Moment bei der Berichterstatter. Und da zeigt sich die TAZ eben nicht von ihrer kompetenten, sondern von ihrer – ja – verlogenen Seite. Denn allzu verliebt spielt Kriener mit der Aufwertung der Ortskirche Immeraths als „Immerather Dom“, der mit einem Mal zum „Kultur-Denkmal“ gerät, dessen Abriss zweifelsfrei barbarisch ist (das letzte ist vom Verfasser dieser Zeilen unterstellt). Und eben auch noch voreilig – bedenkt man (und jetzt ist die Energiepolitik doch wieder dabei) die Jamaika-Sondierungsgespräch und den letzten Klimagipfel, bei denen die Braunkohleverstromung halbwegs abgeschafft werden sollte. 

Nun begleitet mindestens den rheinischen Zeitgenossen der Ausbau des Kohletagebaus seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, also eben ca. 40 Jahre. Ob dabei ein Umweltgipfel und Sondierungsgespräche, die kurz vorher gescheitert sind, tatsächlich Basis für langjährige Entscheidungen sein können? 

Und noch eins: Das Verfahren, mit dem der Tagebau genehmigt wurde, mag kritik- und verbesserungswürdig sein, die im TAZ-Bericht allerdings durchscheinende alte Obrigkeits- und Ausbeutungsrhetorik, ignoriert allerdings eben beiläufig, dass das Verfahren der Beleg für genau das Gegenteil ist. An anderer Stelle und in Sachen Ausbau der Erneuerbaren Energien tauchen solche Argumente merkwürdiger Weise gleichfalls auf. Nur dann sind es die Anrainer etwa von Windeignungsgebieten, über deren Köpfe hinweg solche Eignungsgebiete ausgewiesen und bebaut würden. Schaden gibt es dann bei der Kulturlandschaft, bei den Fldermäusen, beim Nachschlaf der Anrainer und bei den Grundstückspreisen – und diese Reihung stammt nicht von mir.

Die Aufwertung der Immerather Kirche zum Kulturdenkmal, für das gebetet werden wird, damit es nicht zerstört werde, lässt im Übrigen auch beiseite, dass sich für den Bau sonst eben keiner (außerhalb des Stadtgebiets Erkelenz, zu der Immerath gehört) interessiert hätte und bisher interessiert hat. Obwohl ich tatsächlich aus dem Stadtgebiet Erkelenz komme, muss ich das letzte Mal (vor meinem Besuch im Rahmen der Heimattagung in Erkelenz vor einiger Zeit) in meienr Kindheit vor der Immerather Kirche gestanden habe, ohne bleibenden Eindruck, was sicherlich auf die Ignoranz des Betrachters zurückgeht. 

Der Niedergang der katholischen Gemeinden auch im ansonsten doch so katholisch geprägten Rheinland (in dem sich die Protestanten seinerzeit teilweise in geschützte Hofkirchen zurückzogen) führt auch bei den Kirchen zu existenziellen Nutzungsfragen, von denen niemand im vornhinein wissen kann, wie sie beantwortet werden. Jetzt aber, wo RWE das Kulturdenkmal abreißt, wird es zur Schande? Die einzige Schande ist, dass sich die TAZ und ihr Autor nicht zu schade dafür sind, solche reißerischen, geschmacklosen und vor allem vorgeschobenen Motive aufzunehmen und sie als selbstverständlich legitim herauszustellen. 

Aber damit ist die TAZ noch nicht em Ende: Im nachgeschoebenen Beitrag von Bernd Müllender (TAZ vom 9.1.2018) wird die Greenpeace-Energiefachfrau Anika Peters zitiert, die den Abriss der Immerather Kirche „ganz furchtbar“ findet, „hier werden sofort Tatsachen geschaffen“. Wenn eine Energiefachfrau etwas zum Thema Kulturdenkmal zu sagen hat, liegt es nahe, dass sie als Argument zur Hilfe nimmt, was sich gerade anbietet. 

Die Kollateralschäden einer solchen Berichterstattung sind aber kaum abzusehen. Die Indienstnahme von Kultur, Kirche und eben auch Heimat für den Widerstand gegen RWE (oder was auch immer) ist ein eklatanter Missgriff. Mit einem Mal sieht man sich in Gesellschaft von Kultur-Traditionalisten, Heimatromantikern und Naturschützen, und obwohl man selbst sich ale eher nachhaltig orientierter Mensch versteht, will einem diesem Gesellschaft nicht recht gefallen. Warum sich eine linke Zeitung wie die TAZ damit gemein macht, ist erklärbar – aber ein wenig mehr kritischen Geist, mithin journalistische KOmpetenz wird man sich doch wünschen dürfen.


Narrative der ausgebremsten Dynamik

12. November 2017

In der FAZ vom 10. November 2017 führte Klaus-Dieter Frankenberger den Erfolg populistischer Parteien auf die „Intensität und das Tempo des Wandels westlicher Gesellschaften“ zurück. Dem müsse sich Politik widmen.

Offen ist, ob das bedeutet, dass Intensität und Tempo gemindert werden müssten oder die Gruppen, die die Veränderung in dieser Qualität verweigern, beschleunigt oder wie auch immer behandelt werden müssten. Die Antwort auf diese Frage ist ggf insofern überflüssig, als sich die Dynamik der gesellschaftlichen Veränderung ggf. nicht mindern lässt. Wenn dies der Fall ist, wird man dann den Widerstand dagegen hinnehmen müssen? Und die Gruppen, denen das nicht passt, als Anachronismen abhaken können? Mit der Formel, dass der Protest, für den die populistsichen Parteien stünden, nicht per se illegitim sei, ist das Problem nicht zu fassen. 

Aber ist die Veränderung zu stoppen, d.h. wird man fürchten müssen, dass die Veränderungen in zentralen Bereichen gestoppt werden? Es gibt eine Reihe von medialen Erzählungen, die sich diesem Thema widmen, „The Handmaid’s Tale“ vorneweg, eine MGM Produktion, die gerade im deutschen Streaming TV zu sehen ist. „The Man in the high castle“ und anderes, etwa Neuauflagen von Sinclair Lewis und Upton Sinclair.


Treuherzige Ausbeutung

19. Oktober 2017

Ein Fund aus den Ablagen: Die FAS vom 7. Dezember 2014 berichtete von eine Studie, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass ein Drittel der Lehre an Univesitäten unbezahlt sei. Gegen Schluss des Berichts wird schließlich von den Lehrenden gesprochen, die ihre Arbeit unentgeldlich zur Verfügung stellen: Promovierende, Beschäftigte in Drittmittelprojekten und dann noch Externe, die als Lehrbeauftragte oder Privatdozenten Lehre anbieten. In der Regel unbezahlt.

Bemerkenswert findet auch der Verfasser des Berichts, Christian Füller, dass diese Gruppe von Lehrenden, das, was sie da tut, auch noch gern und selbstverständlich tut. Von den Externen heißt es sogar, dass sie „begierig“ darauf seien, die „Studierenden an ihren Erkenntnissen teilhaben zu lassen“. Ob „sie extra dafür auch noch Geld bekommen, ist ihnen nicht so wichtig.“

Nun ist es tatsächlich so, dass Universitäten und Hochschullehrer gern Privatdozenten, Nachwuchswissenschaftler oder Externe als Lehrbeauftragte ohne Vergütung einsetzen. Die Lehre, die abgeleistet wird, angemessen zu bezahlen, sind die Hochschulen und Fakultäten durchgängig nicht in der Lage. Und da sich die Leute nun mal anbieteb – warum nicht?

Dass dieses Verhalten von Universitäten schlicht unverschämt ist und gegen eine der elementaren Regeln der Arbeitswelt verstößt, ist offensichtlich. Eine Leistung sollte vergütet werden, und zwar angemessen. Es gibt sogar Hochschulen, die eine Vergütung vorsehen, aber deren Höhe den Fachbereichen überlassen — die dann aber festlegen, dass es keine Vergütung gibt, vor allem nicht für die sogenannte Titellehre von Privatdozenten. 

Der Umstand, dass sich die Lehrbeauftragten und Privatdozenten sogar anbieten, widerspricht dem nicht, dass es sich um eine grundunanständige Praxis handelt, sondern macht – ganz im Gegenteil – klar, dass hier die Lage der Betroffenen – ja, schamlos – ausgenutzt wird. Doktoranden wollen Zeitverträge, Zeitvertragswissenschaftler wollen feste Stellen, Promovierte wollen sich habilitieren, Habilitierte wollen Professuren. Und all das verdient man sich mit Wohlverhalten. Selbst die Externen spekulieren nicht zuletzt auf irgendeine Form der Entlohnung, und sei es, dass sie symbolischer Natur ist.

All das wird den meisten jedoch vorenthalten. Aber bei einigen hat es immerhin geklappt, ist das Kalkül, das alle bei der Stande hält. So gesehen, wundert einen das Verhalten der Lehrbauftragten und Privatdozenten nicht. Dass die Universitäten das jedoch – seit jeher – ausnutzen, sollte auch den Autoren der Studie aufgefallen sein. Aber vielleicht ist genau das auch ihr blinder Fleck, denn auch bei ihnen wird es sich um Wissenschaftler auf Drittmittelstellen und mit Zeitverträgen handelt. 


Dichter mit Strohhut im Cafe

5. Oktober 2017

Martin Bechler („Fortuna Ehrenfeld“) teilt im Interview mit dem Rolling Stone (Oktober 2017) seine Ziele als Musiker mit: „Bechlers Ziele sind erst mal: Album rausbringen, auf Tournee gehen, seine Leute anständig bezahlen. ‚Es muss natürlich wirtschaftlich sein. Sonst ist es Hobby – dann kann ich mir einen Strohhut aufsetzen, mich ins Café hocken und sagen: Ich bin Dichter. Ist auch okay, habe ich aber keinen Bock drauf.'“ Schlecht für den Dichter.