30. Dezember 2020
Janina Kugel, 2015 bis 2020 im Siemens-Vorstand für Personal
zuständig, vor kurzem zur Boston Consulting Group gewechselt, hat in einem
Interview (FAZ vom 30.11.2020) Stellung zur Frauenquote in Vorständen bezogen
und sie begrüßt. Beiläufig hat sie dabei auch das Ehegattensplitting, also die
gemeinsame Besteuerung von Ehegatten, angegriffen, weil die gemeinsame
Besteuerung eines Ehepaars die „Erwerbstätigkeit von Frauen unattraktiv“ mache.
Das sei bei einer Individualbesteuerung jeder einzelnen Person nicht der Fall.
In der Tat stehen Paare, die das Ehegattensplitting in
Anspruch nehmen können und gemeinsam steuerlich veranlagt werden, steuerlich
meist besser als wenn sie einzeln steuerpflichtig wären. Das liegt daran, dass
der Besserverdienende die Freibeträge des Schlechterverdienenden mitnutzt. Im
Endeffekt hat das Paar mehr Geld zur Verfügung.
Bei der Individualbesteuerung fallen solche
Verrechnungsmöglichkeiten weg, somit haben gemeinsame Haushalte weniger Geld
zur Verfügung, wenn die berufstätigen Paare je einzeln veranlagt werden.
In der Diskussion um die bessere Förderung von Frauen im
Berufsleben spielt das Ehegattensplitting eine Rolle, weil es ein
konventionelles Verständnis von Geschlechterrollen bedient. Und das ist der Fall,
weil die Position des schlechter und besser verdienenden, verbunden mit einer
spezifischen Aufgabenverteilung in der Regel geschlechtsspezifisch verteilt
wird: Höhere Einkommen sind zumeist Männern und niedrigere Einkommen eher
Frauen zuzuordnen.
Frauen sind zwar in der Regel berufstätig und nicht mehr
(allein) für Haushalt und Kinderbetreuung zuständig, mit strukturellen
Einschränkungen: Sie haben eine ähnlich hohe Beschäftigungsquote wie Männer, aber
arbeiten deutlich häufiger in Teilzeitjobs mit geringen Aufstiegschancen, widmen
sich in der Regel der Kinderbetreuung und ziehen sich deshalb zeitweise oder
ganz aus der Erwerbsarbeit zurück.
Das liegt aus der Binnenperspektive von Paaren nahe: Frauen sind
oft jünger als ihre Partner und in der Karriereentwicklung noch in einem
früheren Stadium, weshalb sie weniger verdienen. Durch den zeitweisen Ausstieg
aus dem Berufsleben sind sie in ihrer Karriere allerdings auch gehemmt, was die
Differenzen perpetuiert. Gelegentlich wird auch darauf verwiesen, dass die berufliche Karriere für Frauen einen
geringeren Stellenwert hat als für Männer, was allerdings gegebenenfalls mit
den habituellen Gewohnheiten rückzukoppeln ist. Mit anderen Worten, unter
egalitäreren Verhältnissen würde sich das gegebenenfalls anders darstellen.
Zwar scheinen die Gehaltsdifferenzen in größerem Umfang zu
schwinden, wenn sie um Faktoren wie Altersdifferenz, Karriereverzögerungen etc.
bereinigt werden. Es lässt sich aber nicht wegdiskutieren, dass die
Unterschiede bei Berufstätigkeit und -umfang bis hin zu den Quoten in
Führungspositionen auf ein konventionelles Verständnis von Geschlechterrollen zurückgehen.
Denn Frauen holen den Rückstand zu ihren Männern, was Karriere angeht, meist
nicht auf. Dass das für ihre Absicherung und späteren Rentenansprüche fatal
ist, darauf ist in der jüngeren Vergangenheit immer wieder hingewiesen worden.
Aber das ist hier nur ein Seiteneffekt.
Aber würde die Abschaffung des Ehegattensplittings hilfreich
sein, die berufliche Benachteiligung von Frauen zu beseitigen und sie häufiger
in berufliche Spitzenpositionen zu bringen? Weil damit der Effekt des
Ehegattensplittings wegfällt, dass die Erhöhung der Erwerbstätigkeit
unwirtschaftlich ist?
Vorteil des Ehegattensplittings ist die Entstehung von mehr finanziellem Bewegungsspielraum für Paare, sobald die Einkommensunterschiede signifikant sind. Eine Ehe oder Partnerschaft wird als gemeinsamer Wirtschaftsakteur betrachtet, nicht jeder einzelne Partner allein. Damit werden beide Einkommen strukturell zusammengefasst und als gemeinsames Einkommen zweier Personen gedacht, auf die – idealiter – beide ungehindert und gemeinsam Zugriff haben (was nicht zwingend gegeben ist). Das kann man als staatliche Anerkennung von Mehrleistungen von Paaren ansehen, allerdings ohne Nachweis, da kinderlose Paare mit Paaren gleichgestellt werden, die Kinder haben (daher der Mehraufwand). Das Ehegattensplitting kann auch als staatliche Anerkennung der Arbeitsteilung und als Ausgleich für häusliche Mehrarbeit von Frauen (oder Geringerverdienenden) verstanden werden, allerdings gleichfalls ohne Nachweis. Aber das sind, offen gesagt, nur Hilfskonstruktionen.
Die Kritik am Ehegattensplitting ist, dass es die Auflösung von konventionellen Rollenbildern verhindere, weil es die Erhöhung des Einkommens von seiten der Frau bestrafe. Wenn mehr arbeiten sich nicht lohnt, bedeutet das, dass weniger arbeiten und weniger verdienen, ökonomisch gesehen rationaler ist. Auf die erhöhte persönliche Selbständigkeit wird verzichtet, weil sie mit mehr Aufwand und geringerem Ergebnis erkauft wird, so das Argument.
Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass das
Ehegattensplitting eben nicht ein stärkeres Engagement von Frauen (oder des
Partners in einer Ehe, dessen Einkommen geringer ist) verhindert, weil das
unwirtschaftlich wäre. Es ist eher so, dass auf diese Weise eine konventionelle
Partnerschaft wirtschaftlich besser gestellt wird als zwei singuläre
Steuersubjekte es wären.
Aus der Sicht der emanzipativen Argumentation gegen das
Ehegattensplittings wird eine konventionelle Paarstruktur und damit die
Schlechterstellung der Frau wenn nicht verstetigt, so doch gefördert.
Allerdings bleibt zu fragen, ob die Beseitigung des
Ehegattensplittings das konventionelle Rollenverständnis überhaupt berühren
würde. Hätten beide Partner gleichermaßen Zugriff auf die damit
erwirtschafteten Ressourcen, wäre eine Hürde bei der geschlechtsspezifischen
Güterverteilung bereits genommen – unabhängig von der Besteuerung. Aber das
kann niemand garantieren, da in die Binnenverhältnisse von Paaren – soweit nicht
bestimmte Grenzen überschritten werden – niemand Einblick hat. Bei häuslicher
Gewalt ist das anders, aber sie ist dann eben doch ein Extrem im Machtgefälle
innerhalb von Paarbeziehungen.
Bleibt die der persönlichen Karriere und damit Absicherung
des schlechter Verdienenden, meist also der Frau.
Auf den ersten Blick erhöht die getrennte steuerliche
Behandlung beider Berufstätigen vor allem den Aufwand, mit dem derselbe
wirtschaftliche Effekt (freie Liquidität) erreicht werden kann, wie mit dem
Ehegattensplitting. Nicht aber das Rollenverständnis wird damit bestraft,
sondern die Idee, dass es Wirtschaftsgemeinschaften geben kann und soll, die
besser gestellt werden. Dass diese Idee mit einem konventionellen Verständnis
von Geschlechterrollen eng verbunden ist, kann allerdings nicht unterschlagen
werden. Wäre zu fragen, wie diese beiden Muster voneinander entkoppelt werden
können. Das ist ein Prozess, der seit längerem im Gange ist (mit zahlreichen
Rückschlägen), aber er dauert eben.
Aber bereits auf der Ebene des Ehegattensplittings ist das
ökonomische Argument, das Kugel verwendet, nämlich das der
Unwirtschaftlichkeit, zumindest zu hinterfragen, denn es ist nicht
unwirtschaftlich, wenn Frauen auch in Paargemeinschaften mehr arbeiten, es gibt
nur einen Grenzwert, bei dem der Vorteil des Ehegattensplittings aufgezehrt ist
und beide Partner vom Leiden der Steuerprogression erfasst werden. Wenn beide
Partner viel und gleich verdienen, stehen sie sich nicht besser, als wenn jeder
einzeln versteuert würde. Lässt man das Ehegattensplitting weg, dann muss der
Besserverdienende mehr versteuern, der schlechter Verdienende aber nicht. Will
der (oder häufiger sie) dann mehr verdienen, muss der Arbeitsaufwand erhöht
werden. Anders gewendet, wenn ein Paar denselben Betrag frei zur Verfügung habe
will, wenn es einzeln versteuert wird, muss der Partner mehr arbeiten, der sich
sonst anderen Themen oder auch Aufgaben widmen könnte. Was dann emanzipative
Folgen haben wird? Nur unter der Perspektive, dass sich damit andere
Karrierechancen ergeben.
Aus der Perspektive von Paaren wäre die Aufgabe des
Ehegattensplittings eine deutliche wirtschaftliche Einbuße, aus der Sicht der
Frauenförderung, hätte es also erst einmal nicht zwingend Auswirkungen auf ein
konventionelles Rollenverständnis, sondern würde erst einmal nur den Aufwand
für ein Paar erhöhen, den selben wirtschaftlichen Vorteil zu erreichen wie beim
Ehegattensplitting.
Hinzu kommt: Die
Paarbildung ist wirtschaftlichen Erwägungen vorgelagert. Sobald diese relevant
werden, arrangieren sich die Leute, und zwar unter Einbezug ihres Rollenverständnisses.
Die Kritik des Ehegattensplittings geht – soweit sie wirtschaftlich
argumentiert – also ins Leere und wirkt eher so, als würden ihre Protagonisten
die Geduld mit der Geschwindigkeit verlieren, mit denen Rollenkonventionen sich
ändern. Stellt die Paare schlechter, damit mehr Frauen Karriere machen müssen,
um hinzukommen? Das Individualparadigma, das Ulrich Beck seinerzeit als Signum
der Zweiten Moderne bezeichnet hat, bekäme dadurch eine besondere Note.