Wikipedia hat den Konversationslexika das Geschäft weggenommen, gerade weil die Artikel nicht schlechter waren als bei gedruckten Wälzern. Jetzt gehen Wikipedia die Beiträger flöten und Kritik an der Qualität gibts auch. Ein Kommentar und ein Rückverweis auch in eigener Sache
12. Juli 2025
FAZ und TAZ unisono? Das kommt gar nicht so selten vor, so auch in diesem Fall. In der Sonntagsausgabe vom 6. Juli beklagte die FAZ, dass wikipedia voller Fehler sei, und berichtete im Wirtschaftsteil dann auch gleich, wie die Wissensseite im Internet, die aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist, an ihre Mitarbeiter kommt. Allerdings bestehen die meisten attestierten „Fehler“ vor allem darin, dass Artikel nicht aktualisiert worden sind, dass Daten fehlen und nicht ergänzt wurden. Ein Problem von Druckenzyklopädien, das mit der Einführung der Internetwissensseite als gelöst galt. Immerhin ist es möglich, jederzeit neue Daten einzupflegen und nachzubessern, wenn Fehler und Fehleinschätzungen erkannt werden.
Das betrifft im übrigen nicht Artikel, die offensichtliche Tendenzen zeigen, etwa den zu Ernst Wiechert, der auch in Wikipedia zum Widerstandshelden hochgelobt und der Inneren Emigration zugerechnet, während seine anfängliche Sympathie mit dem NS-Regime bagatellisiert wird. Dass er auch zwischen 1933 und 1945 ein äußerst erfolgreicher Autor war (auch nach seiner Haft in Buchenwald), wird zwar beiläufig berichtet, aber eben nicht mit seiner Anschlussfähigkeit an die NS-Ideologie begründet.
Nun mag man zu solchen Autoren stehen, wie man will, Wikipedia ist der falsche Ort, über deren Einschätzung Diskussionen zu führen. Zumal die redaktionellen Möglichkeiten der Seite deutlich beschränkt sind. Die FAZ meldet, dass das deutsche Wikipedia aktuell nur rund 6.000 Mitarbeiter/innen hat, also etwa eine Halbierung im Vergleich zu einer unspezifisch „einst“ genannten Vorzeit.
Dieser Schwund von Beiträger/innen führt eben nicht nur dazu, dass der Output an Artikeln schrumpft, sondern auch dazu, dass Artikel nicht weitergeführt werden können. Hinzu kommt, dass auch Wissenswertes Moden unterliegt, also Themen eine Zeit lang intensiv nachgefragt werden, dann aber völlig vergessen werden. Was also – wenn man das als Literaturwissenschaftler darauf beziehen darf – Autorinnen und Autoren und deren Werken widerfährt, dass sie schlichtweg vergessen werden, geht auch Themen so. Was dazu führt, dass man eine Menge veraltetes Wissen auf solchen Seiten mitschleppt. Mit dem Vorteil, dass niemand auf die Idee kommt, die Infos gleich ganz zu löschen, wie das bei gedruckten Lexika der Fall ist, die mit beschränktem Raum auskommen müssen. Ein Grund auch für den gedrängten lexikalischen Stil.
Interessant ist nun, dass Wikipedia nach einigen sehr erfolgreichen Jahrzehnten an den Punkt angelangt ist, von der Freiwilligkeit der Beiträger wenigstens teilweise auf professionelle Redakteure umzuschwenken. Und damit auf eine Struktur zurückkommt, die vor fast dreißig Jahren im Umfeld des Lexikons Die Deutsche Literatur diskutiert wurde (an dem der Schreiber dieser Zeilen als Redakteur beteiligt war).
Da seinerzeit die Redakteursstellen weggefallen waren und eine etatisierte Redaktion kaum mehr zu erwarten war, schlugen die Lexikonmacher vor, das Projekt einer Aufnahme aller deutschsprachigen Autorinnen und Autoren in eine Datenbank zu verlagern und eine Kombination von hauptamtlichen Redakteuren und ambitionierten, aber freiwilligen Beiträgern zu etablieren. Der Vorschlag verhallte Mitte der neunziger Jahre ungehört, was nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass in den neunziger Jahren andere Themen auf der Agenda standen und die Protagonisten des Projektes nicht auf etatisierten Stellen saßen und in einem institutionalisierten Projekt arbeiteten. Das kann, muss man aber nicht beklagen.
Aufschlussreich ist nun, dass Wikipedia nun, nachdem der Zuspruch der freiwilligen Zuarbeiter nachlässt, die Seite selbst aber weiterhin eine zentrale Rolle als elektronisches Konversationslexikon spielt, auf eine Idee zurückgreift, wenngleich von einer anderen Position heraus, die ja bereits vor längerem vorformuliert wurde. Was schließlich darauf verweist, dass eine Kombination beider Ressourcen, freiwilliger Mitarbeiter/innen und einer institutionalisierten Redaktion gerade für die Wissensdynamik in der Moderne logisch erscheint. Allerdings strebt Wikipedia anscheinend einen Stab von etwa 50 Redakteuren an, während das allein auf die deutschsprachige Literatur fokussierte damalige Projekt lediglich einen kleinen Redakteursstab angedacht hatte.
Die Bedingungen sind heute allerdings in mehrfacher Hinsicht andere, davon abgesehen, dass Wikipedia keine Autorenseite ist, sondern umfassender Wissenserschließung anstrebt. Wie eine kleine Studie zu dem Rundfunkautor Friedrich Albrecht zeigt, die der Verfasser dieser Zeilen jüngst publiziert hat, lassen sich die Recherchen zu Autorinnen und Autoren heute auf völlig anderen Wegen und mit einem wesentlich effektiveren Zugriff auch auf tradierte Ressourcen durchführen.
So gelang es nun, durch die Abfrage zweier Datenbanken mehr als 100 Rundfunkarbeiten Albrechts zu recherchieren sowie weiteres Material, das bislang im Kulturarchiv der letzten 150 Jahre versteckt gelegen hatte, aufzufinden. Wissensarbeit kann mittlerweile also anders und mit deutlich besseren Ergebnissen als noch vor 30 Jahren geleistet werden. Was auch heißt, Wikipedia bei der Etatisierung der Redakteursstellen eine glückliche Hand und genügend Mittel zu wünschen. Eine Gesellschaft, die Wissen braucht, muss dafür auch die nötigen Mittel aufwenden.
Hier nun die Nachweise:
Lachende Lautsprecher. Erkundungen in Sachen des Rundfunkautors Erwin F. B. Albrecht. In: Aetherische Stimmen. Beiträge zur Rundfunkkultur des frühen 20. Jahrhunderts (und vieles andere mehr). Herausgegeben von Walter Delabar. Bielefeld: Aisthesis 2025, S. 114-131
Hier können Familien Kaffee kochen. Rundfunkarbeiten von Erwin Albrecht zwischen 1933 und 1945. In: Aetherische Stimmen. Beiträge zur Rundfunkkultur des frühen 20. Jahrhunderts (und vieles andere mehr). Herausgegeben von Walter Delabar. Bielefeld: Aisthesis 2025, 134-150.


